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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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abgesehen davon, daß ich nachts aufstehe, um Briefe zu schreiben. Tagsüber sitze ich in meinem neuen Kleid aus schwarzem Satin in der Stube, um allerlei Menschen zu empfangen, die mir kondolieren wollen. Meine Mutter hat hier ihren eigenen Ausschank eröffnet, scheint es fast, sie läuft in einem fort mit Tabletts und Karaffen hin und her. Nächste Woche fährt sie nach Barking zurück.
    Heute nachmittag war ich in der Admiralität. Ich hatte Sandwich um eine Unterredung gebeten und wurde von einer Kutsche zu Hause abgeholt. Ich war froh, daß ich mit dem Kleid nicht in ein Ruderboot mußte.
    James hat unzählige Male in dem Zimmer dort gesessen, an jenem Tisch, vielleicht auf demselben Stuhl. Stephens war auch dabei, aber ich sah Sandwich an. Er formuliert kurz und bündig und sagt nichts Überflüssiges. James fand das auch immer. Ich fragte, ob sie mir ein wenig mehr über den genauen Hergang erzählen könnten, nun, da sie die Journale gesichtet hätten. Sie nickten beide und strahlten vor Wohlwollen.
    Die Reise sei von Anfang an von gewaltigen Verzögerungen gekennzeichnet gewesen, begann Sandwich. Die Detention Clerkes, der Aufenthalt am Kap, die Irrfahrten, ehe die Schiffe endlich in Tahiti anlangten, um Omai nach Hause zu bringen – das sei nur der Anfang gewesen. Ob der Zustand des Schiffes etwas damit zu tun gehabt habe, fragte ich. Sie machten darauf beide ein etwas pikiertes Gesicht, räumten aber ein, daß immer wieder umfassende Reparaturen hätten ausgeführt werden müssen. Ein damit zusammenhängender langer Verbleib auf der Insel Tonga sei zum Beispiel Anlaß für freche Diebstähle seitens der Bevölkerung gewesen, so daß James gezwungen gewesen sei, strenge Maßnahmen zu ergreifen. Dahingehend habe ich nicht weiter nachgefragt. Das Vieh wurde teils auf Tonga, teils auf Tahiti von Bord gebracht. Man hat ein Haus für Omai gebaut, nicht auf Tahiti selbst, sondern auf einer anderen Insel. Alles nahm mehr Zeit in Anspruch als erwartet. Endlich fuhren sie dann gen Norden, im Dezember 77, wenn ich es recht verstanden habe. In diesem unbekannten Ozean haben sie dann eine Inselgruppe entdeckt, auf der die Menschen dieselbe Sprache sprachen wie auf Tahiti. Ein Wunder. James taufte sie die Sandwich-Inseln, das mußte Sandwich natürlich kurz anfügen. Die Menschen selbst sagten ›Hawaii‹. Sie sind nicht lange dort geblieben, James wollte den zweiten Teil seiner Instruktionen ausführen und setzte Kurs auf die Nordwestküste Amerikas, um dort über die Beringstraße nach der Durchfahrt zu suchen. Du mußt dir eine Karte holen, Frances, oder den Globus, denn bei den vielen Orten und Richtungen wird einem schwindlig.
    Es gab keine Durchfahrt. Es gab Eis, Eis und nochmals Eis. Nach fast einem Jahr fuhr James nach Hawaii zurück, das schien ihm der geeignete Ort zu sein, um nach den Entbehrungen des Polarmeers wieder zu Kräften zu kommen. Bevor sie zur Landung übergingen, umsegelten sie die gesamte Insel, um die Küste komplett zu kartieren. Das wird die Mannschaft nicht erfreut haben, aber es ist, wie Sandwich sagte, eine sehr schöne Karte dabei herausgekommen. Einmal an Land, wurde James wie ein König empfangen und wie ein Gott verehrt. Für die Schiffe und ihre erschöpften Mannschaften bekam er jede nur erdenkliche Unterstützung. Sie blieben etwa drei Wochen. James wurde zu allerlei Festlichkeiten mitgeschleppt. Watman, der alte Matrose, den James so gern hatte, starb und wurde auf der Insel begraben. Die Segelmacher und die Zimmerleute arbeiteten tagaus, tagein. Alle taten sich an Ferkeln und Zuckerrohr gütlich .
    Ich hörte mir das nickend an. Mach mal voran, dachte ich, komm doch endlich zur Sache. Und das tat er.
    Die Schiffe seien am 4. Februar 1779 zu einem erneuten Versuch abgefahren, die Nordwestpassage zu finden. Sandwich zog ein Papier hervor. Es war ein Brief, den James im Oktober 1778 an ihn geschrieben hatte und den er auf der Insel Unalaska dem dortigen Gouverneur übergeben hatte, ein Russe, glaube ich. James schreibt, er habe wenig Hoffnung, daß es eine Durchfahrt gebe, verfüge noch über Proviant für ein Jahr und wolle diese Zeit darauf verwenden, die Geographie zu verbessern. Sandwichs Hände zitterten. Der Brief sei eine Woche vor der Todesbotschaft bei ihm eingegangen. Ich sah die Handschrift, die ich so gut kenne, und mit einem Mal wurde mir bewußt, daß der Tisch, an dem wir saßen, völlig leer war. Keine Logbücher, keine Briefe, keine Karten. Tja, was man nicht ins

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