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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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sprach die Sprache dort sehr gut, und da konnten sie zusammen über das Erlebte beratschlagen, was das alles zu bedeuten hatte. Er starb auch, unser Doktor. Genau wie Gierke, an derselben Krankheit. Sie wußten es beide. Auch, daß es sich verschlimmern würde, wenn wir wieder in die Kälte fuhren. Eigentlich hätten sie auf Tahiti bleiben müssen, das Klima dort ist günstig für ihr Leiden. Beide sind auf ihrem Posten geblieben, zum Glück für James. Watman, der alte Matrose, den wir auf Hawaii begraben haben, war auch ein Freund. James war völlig unzugänglich, als Watman starb, er machte sich Vorwürfe, daß er einen so betagten Mann mitgenommen hatte. Er hatte seine Pension dafür geopfert, er war schon in Greenwich!
    James hat ihm ein großes Begräbnis ausgerichtet, in einem Heiligtum dort, das erlaubten die Priester. Er hat selbst den Bibeltext gelesen. Sein Gesicht war hart und steinern wie ein Fels.
    Ich glaube, King hat er auch sehr gemocht, und mich. Aber eher wie ein Vater. Gierke und Anderson waren richtige Freunde für ihn. Und die wurden langsam von der Schwindsucht ausgezehrt. James konnte nichts dagegen tun.«
    »Er hätte sie zwingen können, in den Tropen zu bleiben. Dort zu sterben.«
    Isaac schüttelte den Kopf. »Das hätten sie niemals gemacht. Alan hat doch seine Ehre als Offizier. Sie haben untereinander darüber gesprochen, aber gemacht hätten sie dergleichen nie und nimmer. Als wir endlich nach Norden fuhren, mußte ich fortwährend an die Krankheit denken. Ich behielt Anderson im Auge. Man gleitet ganz allmählich in die kalte Luft hinein, unmerklich fast; eine frische Brise, denkt man, bald wird es wieder warm, aber nach ein paar Tagen bibbert man in seinem Hemd, und noch etwas später teilt der Bootsmann Dufflecoats und Handschuhe aus. Ich fand das eigentlich nicht unangenehm, Winterwetter. Wir sahen die Westküste Amerikas daliegen, gigantische Bergketten, weiß vom Schnee. Wenn man Wache hatte, haftete sich Reif an die Haare. Man begann sich nach heißer Suppe zu sehnen.
    An der Küste wohnten Indianer, die eine andere Sprache sprachen als die Insulaner. Wir verstanden sie nicht. Sie trugen Tierfelle. Jäger. Denken immer an Tiere. Dort habe ich diesen Vogel für Benny gekauft, für eine Pfeife und ein Taschentuch.«
    »Damit hast du genau ins Schwarze getroffen, Benny ist ganz vernarrt in den Vogel.«
    Elizabeth hatte zu nichts imstande oben gelegen, als Isaac in London eingetroffen war und sie sogleich besucht hatte. Plötzlich habe ein Mann mit wildem Haarschopf und einem großen Paket in den Armen vor der Tür gestanden, erzählte Charlotte später. Ein Raubvogel, aus nahezu schwarzem Holz geschnitzt, war seither Bennys Kamerad. Die Flügel leicht aufgewölbt, die Fänge um einen Ast gekrallt. Bleischwer. Das Kind schleppte ihn Tag für Tag die Treppe hinauf und hinunter. Er stand auf dem Tisch, wenn Benny aß.
    »In der Bucht, in der wir lagen, war es schön, trotz der Kälte. Wir erforschten die Flüsse, um zu sehen, ob wir darüber ans Eismeer gelangen könnten. Ich erinnere mich an einen Tag, so einen bewölkten, beinahe englischen Tag, als wir im Beiboot auf Entdeckung auszogen. James war so entspannt, so umgänglich. Er schwatzte mit uns, fragte allerlei persönliche Dinge. Von den Bergen um uns herum hörten wir die Eingeborenen singen, der Klang schwoll an und nahm wieder ab, das machten sie so kunstvoll und schön, daß einem Tränen in die Augen sprangen. Und dabei waren es so schmutzige Menschen, sie starrten nur so vor fettigem Schlamm, und wie sie stanken! Wir ruderten an dem Tag gut dreißig Meilen weit, todmüde waren wir, aber es kam uns vor wie ein Ausflug auf der Themse. Irgendwo pflückten wir am Ufer Heidelbeeren und hatten alle blauverschmierte Münder. James schnitt auf seinen Knien getrocknetes Fleisch und bot uns der Reihe nach ein Stück auf seiner Messerspitze an. Auf unsere Ruder gestützt, kauten wir still vor uns hin. Ein Fischadler flog über uns hinweg, segelte eine Zeitlang dem Flußlauf folgend dahin. Ich glaube, daß alle im Boot an jenem Tag glücklich waren.«
    Sie hatten das Flußufer verlassen und spazierten über einen Landweg zwischen den Feldern auf das in der Ferne sichtbare Kirchtürmchen zu. Ich frage nach Freunden, und er nennt zwei todkranke Männer, dachte sie. Ich frage nach Zufriedenheit, nach Glück, und er nennt zwei nichtige Begebenheiten. Warum war James so angespannt, woher die Raserei, was trieb ihn dazu? Dachte er an uns,

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