Letzte Reise
besuchte religiöse Festlichkeiten, er verkehrte mit Königen und Priestern, er wohnte sakralen Tänzen bei und machte bei geheimen Ritualen mit. Später schrieb er alles, was er gesehen hatte, in sein Journal.
Er versuchte, auch unsere Errungenschaften zu erklären. Er zeigte einem klugen Insulaner eine Karte der Insel, die er gerade selbst gezeichnet hatte. Er strahlte, als der Mann seine Insel auf Anhieb erkannte. Sie nannten es ›tattow‹, wenn sie uns schreiben oder zeichnen sahen. Das ist ihr Wort für die Verzierungen, die sie auf ihrem Körper anbringen. Dieser Mann hatte erfaßt, daß unsere Tattows etwas bedeuten, sich auf etwas beziehen, etwas zusammenfassen können. Das freute den Kapitän in hohem Maße. Welche Götter wurden verehrt? Wie war die Nachfolge des Königs geregelt? Welche Rolle spielte seine Frau? Warum schien der junge Königssohn mächtiger zu sein als der König selbst? Auf all diese Fragen suchte der Kapitän eine Antwort. Er fand sie nicht, noch nicht, aber er trug alle Bausteine zusammen, die ihm helfen konnten.«
»Bereitete ihm das Vergnügen?«
King dachte kurz nach. »Eine gewisse Befriedigung war mitunter spürbar, ja. Aber es fiel dem Kapitän auch schwer. Die Sprache war ein gewaltiges Problem. Und am schlimmsten war, daß seine guten Absichten und Bemühungen nicht immer gewürdigt wurden. Die Zerstörung seiner sorgfältig angelegten Gärten, die Schlachtung des mühsam verschifften Viehs. Das war schwer zu ertragen.«
Wie bekommt man ein Pferd an Land, dachte Elizabeth. An einem Flaschenzug in das größte Beiboot hinunterlassen? Kaum noch Platz für die Ruderer neben dem sterbensbangen Tier. Festgebundene Beine, so ein Huf durchschlug ja ohne weiteres den Holzboden. Dann setzte das Boot in der Brandung auf dem Sand auf, und sie mußten das Pferd ins Wasser treiben. James würde mit dem Fernrohr auf dem Deck der Resolution stehen, mit verkniffenem Mund und gespannten Kiefern, fluchend.
»Er begab sich in Situationen, denen andere vielleicht lieber aus dem Weg gehen würden. Seine Neugierde war größer als seine Vorsicht. Wir können das Mut nennen. Oder Fortschrittseifer.«
King verstummte. Elizabeth, mit einem Mal von völliger Erschöpfung übermannt, dankte ihm für seinen Besuch und verabschiedete sich. Der hagere Kapitän zog sich, den Hut an die Brust gedrückt, eilends auf den Flur zurück.
Benny stand auf einem Hocker neben Charlotte an der Anrichte. Sorgfältig drückte er Haselnüsse in die Teighäufchen, die vor ihm auf dem Backblech lagen. Elizabeth trat zu ihm und hörte ihn flüsternd zählen. Ich muß meine Hand auf seinen Kopf legen, dachte sie, seinen Nacken streicheln, seinen steifen Rücken berühren. Eine ganz gewöhnliche Gebärde. Er würde erschrecken, also lasse ich es lieber. Der Junge schien ihre Gedanken zu erraten und rückte näher an Charlotte heran. Elizabeth setzte sich schweigend an den Tisch.
Jemand stieß die Waschküchentür auf, und Schuhsohlen scharrten über die Steine.
»Seid ihr zu Hause?« Die Stimme von Isaac. Etwas dunkler geworden, dachte sie, wie schön, daß er wiederkommt. Er ist jetzt ein erwachsener Mann, er fühlt sich fest an und riecht nach frischer Luft.
Nach der Umarmung blieben sie einander gegenüber stehen. Er hatte einen ernsten Ausdruck auf dem Gesicht, das immer röter wurde.
»Gut, daß du wieder hier unten bist«, sagte er. »Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Es ist so schlimm. Der Kapitän, das ist ein Unglück. Aber Nat, das ist, das ist –« Tränen spritzten umher, als er wild den Kopf schüttelte. Elizabeth legte die Hand an seine Wange. Wie warm er war, er glühte.
»Mary liegt im Bett, die Schürze über dem Kopf. Sie ißt nicht, sie redet nicht. Nur heute morgen hat sie etwas zu mir gesagt, du mußt zu Elizabeth, hat sie gesagt. Sie denkt also schon an dich. Damit du das weißt.«
»Bevor du zurückfährst, mußt du kurz nach nebenan«, sagte Elizabeth. »Nimm ein Fäßchen Gin für sie mit. Vielleicht tut ihr das gut. Sie hat Nat so sehr geliebt. Sie ist alt. Ich verstehe das schon.«
Charlotte hatte die Plätzchen in den Ofen geschoben und schickte sich an, mit Benny nach draußen zu gehen. In der Küche duftete es so stark nach Zimt und kandiertem Zucker daß Elizabeth übel wurde. Sie ließ Isaac das Fenster öffnen.
»Seit dem Polarmeer kann mir Kälte nichts mehr anhaben«, sagte er, »aber du mußt achtgeben.«
»Mir ist nicht kalt. King war hier. Alles nur Loblieder und
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