Letzte Reise
teilte. Elizabeth erhob sich und fächelte mit ihren Röcken Luft in das Feuer, bis der Stamm in lodernde Flammen aufging. Triumphierend sah sie Palliser an. Er lachte und legte die Hand an ihre erhitzte Wange.
»Komm, wir gehen in mein Arbeitszimmer, dort schenke ich dir einen Kaffee ein.«
Glastüren gingen auf die Terrasse hinaus. Jenseits davon erstreckte sich der Park, so weit man blicken konnte, die Bäume im zeitigen Frühjahr mit verschiedenen Grüntönen geschmückt, die später, wenn sich der Sommer dem Ende zuneigte, allesamt in die gleiche müde, dunkle Färbung übergehen würden. Unter den Baumkronen Pfützen von Blau; Glockenblumen, dachte sie, die hatten wir früher auch im Garten, aber sie wollten nie so recht. Hier sitzt er also und starrt auf diese Hirsche. Daß ich noch nie hiergewesen bin, schlimm eigentlich. Dazu mußte ich erst dreiundvierzig werden. Mußte er mich zwanzigmal einladen. Mußte mich praktisch entführen, in der auffälligen Karosse, die er vorfahren ließ.
Palliser sank in seinen Lehnsessel und legte das Bein auf ein abgewetztes Kissen. Er sah für seine Verhältnisse nicht schlecht aus, und seine Augen leuchteten. Er klopfte auf den Sessel zu seiner Rechten.
»Ich finde es schön, wenn du neben mir sitzt. Besser als einander gegenüber. Ich möchte sehen, was du siehst.«
Sie glitt in den Sessel. Machte diese Stille einen verrückt, oder war sie gerade gut? Er fand sie offenbar angenehm. Das Buch über James' zweite Reise stand aufgeschlagen auf einem Lesepult. Im Bücherschrank sah sie die Rücken des vierbändigen Werkes von Hawkesworth.
»Wann kommt das neue Buch heraus? Das müßte doch jetzt fertig sein. Hast du etwas darüber gehört?«
Palliser schüttelte den Kopf. »Douglas befaßt sich damit, das ist das einzige, was ich weiß. Und daß es drei Bände werden, zwei von James und einer von King. Das weißt du doch auch, du müßtest doch einen Vertrag haben. Läßt Douglas dich keine Druckfahnen sehen?«
»Bis jetzt nicht. Es ist auch nichts Dahingehendes vereinbart worden.«
»Also weißt du eigentlich immer noch nichts, bis auf das, was Stephens und Sandwich dir erzählt haben.«
»Und King«, sagte sie. »Und Isaac natürlich. Ich weiß alles. Aber du hast recht, eigentlich weiß ich nichts. Nicht, wie und warum es geschehen konnte, nicht, was der Bestattung vorausgegangen ist; ja, ich könnte eine Menge darüber erzählen, aber im Grunde weiß ich nichts. Ich möchte Isaac nicht unter Druck setzen. Habe ich zwar schon getan, aber er weiß auch nicht viel. Er war nur gewöhnlicher Matrose, damals. Ich habe immer gedacht, ich müsse das Erscheinen der Journale abwarten. Jetzt denke ich: Das ist auch nur eine Geschichte, eine von der Admiralität zensierte Version dessen, was James niedergeschrieben hat. Und der letzte Teil? Ich weiß es nicht. Es wird auf alle Fälle etwas sein, was sie in dieser Form in die Welt hinausschicken wollen. Ob das die Wahrheit ist?«
Er hatte ihre Hände ergriffen und streichelte ihre Finger, einen nach dem anderen.
»Worauf bist du aus?«
»Verstehen«, sagte sie, ohne zu zögern. »Wenn ich verstehe, was ihn beseelte, kann ich vielleicht endlich Ruhe finden. Ich führe jede Nacht Gespräche mit ihm. Auseinandersetzungen. Vorwürfe. Davon möchte ich befreit sein. Es geht nicht mehr. Ich bin so müde.«
Er küßte ihre Finger. Sie reagierte nicht darauf, sondern spähte in den Garten, während sie ihre Hand in seinen Händen ließ.
»Isaac erzählte von der Bestattung. Oder wie man das nennt, wenn man jemanden ins Meer kippt. Ich stelle es mir vor. In allen Einzelheiten, aber es genügt nicht. Ich habe keinen Frieden damit.«
»Alan muß gehen«, sagte Palliser. »Man muß ihn wegtragen. Wegbringen. Schritt für Schritt, während man weiß, daß es der letzte Gang ist.«
Elizabeth sah ihn an. Wie selbstverständlich hatte er sie mitgenommen, als Elly begraben wurde. Er war neben ihr gegangen. Er wußte um derlei Dinge.
»Das Schlimmste, was es gibt«, sagte sie. »Es ist eigentlich nicht machbar, und doch macht man es. Es muß auch ein Grab geben, zu dem man gehen kann, selbst wenn das genauso schlimm ist. Ich sitze zu Hause und höre Regen und Wind über das Grab hinwegfegen. Schrecklich. Doch am nächsten Morgen kann ich die heruntergewehten Zweige wegräumen. Ich weiß, wo sie ist. Ich könnte sie ausgraben. Ich könnte ihren Schädel halten.«
Nicht weiter, dachte sie. Ich spreche hier Gedanken aus, die in meinen
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