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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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Schriftlesung zu übernehmen, und Gore kann so etwas nicht. Leutnant King hat gelesen. Der Sarg stand auf einer Planke, die Fahne lag darüber. Der Dudelsack spielte ein Lied. Danach schwollen die Trommeln an, ihre Wirbel wurden kräftiger und schneller, bis sie alle zugleich verstummten. Im selben Moment wurde die Planke angehievt, und die Leinen, mit denen der Sarg befestigt war, wurden gefiert. Wir hielten den Atem an. Der Plumps war eigentlich nicht laut, es schien, als öffnete sich die See bereitwillig, um den Sarg aufzunehmen. Wir blieben mit gesenkten Köpfen stehen, bis Clerke mit einer Handbewegung den Befehl zum Abrücken gab.
    Ich weiß nicht mehr, wie es weiterging, an jenem Tag. Wir werden wohl gegessen haben. Wir bereiteten die Abfahrt vor. Ich kann mich an nichts davon erinnern.«
    Sie waren zügig ausgeschritten, ohne auf die Umgebung zu achten, und standen plötzlich bei der Kirche. Dort war das kleine Grab von Elly, überwuchert von graubraunem Gras. Elizabeth lehnte sich an die Mauer, die den Friedhof einfaßte. Sie sah das Deck der Resolution vor sich, zum Bersten gefüllt mit niedergeschlagenen Männern, die ihre Hüte und Mützen in der Hand hielten. Eine Reihe Marinesoldaten in roten Jacken gegenüber den Offizieren in Blau; Isaac betreten daneben. Das Bild kam ihr komplett und in sich geschlossen vor, wie ein eingerahmtes Gemälde.
    »Er hätte niemals fahren dürfen. Hat einer von euch daran mal einen Gedanken verschwendet? Ihr erweist ihm die letzte Ehre, als gehörte er euch. Der Führer. Der Vater. Ganz selbstverständlich. Ihr seid ratlos, wenn er fortgeht, in tausend Nöten. Und wir? Seine Kinder, seine Frau? Wie sollen wir dieses Fortgehen stets wieder ertragen? Du erzählst, wie er sich für euch ins Zeug gelegt, sich für euch abgearbeitet hat. Er saß mit einer nackten Prinzessin in der Kajüte, aber hätte er nicht bei mir in der Küche sitzen müssen? Er ruderte mit euch an diesen bewaldeten Hängen entlang, nicht aber mit seinen Söhnen über die Themse. Du erzählst, wie schlimm es war, ihn gehen zu lassen, aber wie war es erst, ihm immer wieder ade zu sagen? Hast du daran mal gedacht?«
    Isaac sah sie verstört an, als begreife er nicht, wovon sie sprach.
    »Wir«, sagte sie nochmals, »seine Familie. Lebend, tot.«
    Er wandte ihr den Rücken zu und lief einige Schritte auf die Straße hinaus. Dann drehte er sich plötzlich um, stampfte auf und schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn.
    »Dumm, dumm, dumm! Du hast recht!« Er trat neben sie. »Nie dran gedacht. Als existierte das alles hier nicht. Weißt du, ich freute mich nur, daß ich wieder mit durfte, war stolz, wenn ich eine Skizze machte, die ihn zufriedenstellte, und gespannt, wenn wir in einer fremden Bucht anlegten. Ich habe nur an mich selbst gedacht. Dumm.«
    Elizabeth hatte die Arme verschränkt und blickte zu Boden. Palliser hatte recht, dachte sie, in mir schlummert ein Vulkan blanker Wut, die einem Unerreichbaren gilt. Und weil ich ihn nicht erreichen kann, bekommen es alle anderen ab. Der arme kleine Benny, der für nichts etwas kann. Die treuen Freunde von James, die mich stützen wollen und von Charlotte hinausgeworfen werden. Weil James nicht da ist, setze ich dem armen Isaac zu. Sieh doch, wie sehr ihn Dinge reuen, die man ihm überhaupt nicht zur Last legen kann. Ich muß damit aufhören, aber wie macht man das? Wenn ich an mich heranlasse, wie es wirklich ist, zerreißt es mich.
    Isaac stieß sie an. Er hakte seine Zeigefinger ineinander und bewegte die Hände auf und ab.
    »So machen die Insulaner, wenn sie zeigen wollen, daß ihnen etwas wirklich ernst ist. Daß sie die Wahrheit sprechen. Es ist ein Eid. Ich werde für dich sorgen. Und für Benny. Das schwöre ich dir, Elizabeth, ich lasse dich nie mehr im Stich.«
    Er legte die Arme um sie und hielt sie. Reglos stand sie in der heißen Umfriedung. Sie biß die Zähne zusammen.
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    »Hier sitze ich nie«, sagte Hugh Palliser. »Es ist mir zu weitläufig, ein Ballsaal geradezu.«
    Elizabeth wiegte sich in den Hüften und machte einige Tanzschritte. Sie blieben vor dem riesigen Kamin stehen. Auf dem Rost schwelte ein mächtiger Holzscheit, ein ungespaltenes Stück Baumstamm, das völlig verkohlt zu sein schien. Sie ging in die Hocke und begann zu blasen, zu kräftig zunächst, so daß eine Wolke feiner Asche aufwirbelte, dann mit Ruhe und Gleichmaß. Auf dem Rücken des Holzes erschien eine blaue Linie, die sich in unzählige tanzende Flämmchen

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