Letzte Reise
Kopf gehören und nirgendwohin sonst. Ich muß damit aufhören. Warum eigentlich? Er kann es sich offenbar anhören. Er versteht etwas davon. Ich würde am liebsten zu ihr in die feuchte Erde kriechen. Ich würde am liebsten die Wangen an ihre Knochen schmiegen.
»Wir werden gleich etwas essen. Du bist immer noch viel zu mager. Danach möchte ich dir etwas zeigen, im Park. Vielleicht findest du es furchtbar, geschmacklos, übertrieben. Aber ich wollte es gern so. Wir sprachen ja gerade darüber, daß es kein Grab gibt, keinen Ort. James war mein Freund, was immer auch geschehen ist. Er fehlt mir. Ich habe ihm ein Denkmal setzen lassen. Von hier aus kannst du es nicht sehen, es steht weiter weg, wir laufen heute nachmittag dorthin, ich möchte es dir zeigen. Es ist eine viereckige Säule, deren Flächen rundherum beschriftet sind. Seine Lebensgeschichte. Seine Taten. Seine Bedeutung. Der Text ist der Gedenkschrift der Admiralität entnommen. Ich selbst hätte es anders formuliert, aber ich wollte, daß es offiziell ist. In meinem privaten Park, aber so offiziell wie möglich. Wenn wir längst gestorben sind, werden Menschen hier Spazierengehen und einen Moment stehenbleiben, um den Text zu lesen. Sie werden an ihn denken, in hundert Jahren noch. Ich habe außerordentlich beständigen Marmor ausgewählt.«
»Manchmal weiß ich nicht mehr, wie er aussah«, sagte Elizabeth. »Dann erinnere ich mich nur noch an seinen Rücken, etwas zu schmal für seine Größe, weißt du noch? Und leicht gekrümmt. Sein Gesicht kann ich mir nicht in Erinnerung rufen. Wenn ich es versuche, sehe ich das Porträt von Dance. Nur seinen Rücken.«
Sie schauten nach draußen. Ein Gärtner war mit Kübelpflanzen zugange. Auf dem Rasen stand eine Schubkarre mit einem Spaten darin.
»Redest du mit deinem Jüngsten, meinem Patenkind, über ihn?«
Elizabeth machte ihre Hand los und rieb sich über die Wangen. »Nenn ihn doch Benny. Das ist der Name, auf den er hört. Er liest. Er verschlingt die Reisebücher. Ob ihm klar ist, daß es dabei um seinen Vater geht, weiß ich nicht. Nein, ich spreche kaum mit ihm darüber. Eigentlich weiß ich gar nicht, was ich ihm sagen soll. Er geht mit Begeisterung in die Schule und saugt alles auf, was er dort zu hören bekommt. Besorgniserregend ist das. Aber ich bin außerstande, dem entgegenzuwirken, leider. Vielleicht fällt ja alles, was sie ihm dort erzählen, in eine offene Grube, die ich in seinen Kinderjahren zu füllen versäumt habe.«
Palliser zog die Augenbrauen hoch. Elizabeth redete weiter, mit etwas zu schriller Stimme, das hörte sie selbst.
»Als er geboren wurde, war ich trübsinnig. Und anschließend zornig. Als ich wieder bei Kräften war, begann ich mich um die Matrosenkinder zu kümmern. Ich dachte immer, ich würde ihm schon näherkommen, wenn er etwas älter wäre. Jetzt, da es soweit ist, klammert er sich an seine Lehrer, und ich werde nicht gebraucht.«
Palliser massierte sein Fußgelenk.
»Schmerzt es dich, daß ich dein Patenkind vernachlässigt habe? Bist du böse?«
In der Stille hörte sie das Feuer am Brennholz nagen. Eigentlich war immer irgendein Prozeß im Gange, bei dem das eine Element das andere vernichtete oder dauerhaft in sich aufnahm. Man mußte sich in einem fort zur Wehr setzen, um nicht selbst inkorporiert zu werden. Kein Wunder, daß sie so müde war.
»Um was sorgst du dich denn? Zeugt es nicht von einer Art Lebenslust, wenn er so gerne lernt?«
»Er ist gläubig geworden. Ich bringe ihn zu Bett und wünsche ihm eine gute Nacht, und wenn ich dann auf dem Flur stehenbleibe und durch einen Spalt in der Tür luge, sehe ich ihn aus dem Bett steigen und niederknien, die Hände gefaltet, die Augen zugedrückt, er murmelt Worte, die ich nicht verstehe, minutenlang! Dann schlüpft er wieder unter die Decke, und ich schleiche mich lautlos davon.«
»Eine unerwartete Entwicklung«, sagte Palliser. »Aber ich kann sie nicht unlogisch finden. Auch nicht wirklich besorgniserregend übrigens. Eine kindliche Anwandlung, die sich schon wieder geben wird, scheint mir.«
Elizabeth schnaubte. »Man darf das nicht als Bagatelle abtun. Du müßtest mal sein ernstes Gesicht sehen. Ich bringe es nicht fertig, ihn darüber zu befragen. Ich fürchte mich viel zu sehr vor dem, was ich dann zu hören bekomme. Aber ich glaube, James würde erwarten, daß ich ihn korrigiere und ihm die Pracht des wissenschaftlichen Weltbildes vor Augen führe.«
»Das tust du doch. Du liest ihm
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