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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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prompt. »Wie kommst du darauf, ich denke nie an dich als einen alten, invaliden Mann.«
    »Und doch ist es so. Es fällt mir schwer, darüber zu reden. Diese Verwundung, weißt du, die hat viele Funktionen beeinträchtigt. Invalide, sagst du. Ohnmächtig. Ja.«
    Sie erschrak. »Also deshalb hast du keine Kinder, konnte sie keine Kinder bekommen!«
    Palliser setzte sich auf. »Ich. Ich kann seit dieser Verletzung keine Nachkommen zeugen. Davor schon. Ich habe einen Sohn, George heißt er.«
    Sie war perplex. »Einen Sohn? Mit wem denn?«
    »Der Schneiderin meiner Mutter. Ich war gerade sechzehn. Ich sehe ihn nie, aber ich habe seine Ausbildung bezahlt. Er wird das alles hier erben. So viele Geheimnisse, Elizabeth. Geheimnisse, von denen du wissen mußt, weil sie Folgen für uns haben. Ich habe keine Frau so sehr, so wie von selbst geliebt wie dich. Das wird auch so bleiben, das ändert sich nicht. Du bist ein unverzichtbarer Teil von mir.«
    Er verstummte und begann sich wieder das Bein zu reiben.
    »Aber weiter kann es zwischen uns nicht gehen. Nicht über das hier hinaus, einen Besuch am Sonntagnachmittag. Ich würde dich todunglücklich machen, das weiß ich genau. Es geht nicht. Ich kann nicht.«
    Sie sah ihn verständnislos an.
    »All diese Versprechen«, fuhr er fort, »zwischen uns. Diese seltsamen, unweigerlichen Berührungen, die nie zu – nun ja, dem, wozu sie führen müßten, führen werden.«
    »Das ist mir doch einerlei«, rief sie mit hoher Stimme. »Du bist mein Freund. Du mußt mein Freund sein.«
    Sie hörte, wie kindlich ihre Worte klangen.
    »Und die Jahre«, sagte er leise. »Ich bin am Ende angelangt, um mich her kommt immer mehr zum Stillstand, und das paßt, das ist gut. Dann kommst du und rührst meine Seele in Wallung, ich weiß nicht, ob man das so sagen kann, aber so fühlt es sich an. Wenn du mich ansiehst, erhebt sich in meinem Innern ein Sturm. Das halte ich nicht mehr aus. Das zerreißt mich. Ich kann dir niemals geben, was du nötig hättest, was dir zustünde, was ich dir geben wollte und müßte.«
    Es stimmt nicht, dachte sie. Er darf nicht so schwach sein, wie er sich gibt. Ich lasse mich nicht fortschicken. Alles hat er abgestreift, hat seinen Posten niedergelegt, seine Frau untergebracht, seinen unbekannten Sohn verleugnet. Und jetzt entledigt er sich meiner. Läßt mich wie einen Stein ins Wasser fallen.
    Ein intensives Bild von ihrer Tochter drängte sich auf. Auf ihrem Schoß, der runde Kinderrücken in ihrer Armbeuge, der Heuduft ihres Haars. Die Höhepunkte, die ikonischen Momente treten ein und gehen vorbei. Kummer und Wut überwuchern die Erinnerung wie Efeu. Dunkle Hügel voller Spinnen und haariger Zweige, man möchte ihnen möglichst fernbleiben, doch es sind die Anker des Daseins. Warme Kinderschenkel auf dem Schoß. Ein nackter Männerarm an der Wange. Nicht wegschieben. Nicht leugnen.
    »Natürlich bleibe ich dein Freund«, sagte er, »und nehme weiterhin an deinem Leben Anteil. Ich werde dir bei allem helfen, wo du meine Hilfe benötigst. Aber du bist jung, gerade vierzig, du solltest einen jungen Mann an deiner Seite haben.«
    Ich will keinen jungen Mann, dachte sie, ich will ihn. War das so? Wer war er denn für sie? Wollte sie ihm näherkommen, gerade weil er sie so selbstsüchtig wegschob? Oder durfte sich einfach nichts ändern, hatte sie immer insgeheim auf ihn gehofft und ertrug es einfach nicht, daß es jetzt zu Ende sein sollte?
    Er schämt sich, daran besteht kein Zweifel, das steht im Vordergrund. Aber nicht nur seine Lenden sind lädiert. Da ist noch eine andere Blessur, mit der er mich nicht konfrontieren möchte. Er weist mich ab, und doch spüre ich, daß ich ihm wichtig bin. Ich schäume vor Wut, und doch höre ich ihm weiterhin zu.
    »Keiner von uns beiden kommt von James los«, sagte Palliser. »Er steht ein für allemal zwischen uns. Wir würden ihn vielleicht aussperren wollen, indem wir uns aneinanderklammern, aber ich glaube, das ist nicht möglich. Mein Gewissen züchtigt mich jeden Tag. Und dir sehe ich an, daß du keine Ruhe findest, bevor du nicht weißt, warum er ging. Es beschäftigt dich, tagtäglich. Es hindert dich daran, dein Kind zu lieben. Du weißt dir keinen Rat damit und kommst zu mir, der es auch nicht besser weiß.
    Ich habe noch nie so viel zu dir gesagt. Schrecklich all das. Wollen wir essen gehen? Ich habe Wachteln bestellt, ich sah sie gestern schon in der Waschküche hängen.«
    Später wußte sie nicht mehr, wie sie

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