Letzte Reise
würden. So mußte es gehen. So war es immer gegangen.
Er trank. Sie hörte ihn schlucken und sah, wie sich sein Adamsapfel bewegte. Ein hartes Tack!, und das Glas stand wieder auf dem Tisch. Er kämpft sich ins Haus hinein, dachte sie, er drückt den Dingen seinen Stempel auf, alles soll wieder ihm gehören. Ich auch. Aber ich bin doch auch die Seine, oder? Er hat doch freien Zugang zu allem, was ich denke, oder?
Sie spürte, daß sie errötete. Er wußte ganz und gar nicht, was sie dachte; nicht, daß sie fest damit rechnete, daß er nie wieder auf die Reise gehen würde, nicht, daß sie an diesem Tisch an einem nackten Männerarm geweint hatte, nicht, daß sie krampfhaft den Gedanken an das Bett oben verbannte.
Er stand auf und trat schweigend hinter ihren Stuhl. Er legte die Hände in ihren Nacken, schob ihren Kragen zur Seite und rieb mit den Daumen über ihre Wirbel, aufwärts in ihre Haare, abwärts über ihren Rücken. Sie hörte die Sohlen seiner Stiefel auf dem Boden quietschen, sie fühlte die Wärme seines Körpers, sie sah durch das Fenster die Schwärze der Nacht.
Aufstehen. Sich langsam in diese warmen Arme drehen. Die Weste riechen, den fremden Geruch von Kleidern, die die Erde umrundet hatten. Den Kopf an seine Brust legen und das Pochen eines starken Herzens hören, spüren. Dann aufschauen und behutsam die Hand an seine Wange legen. Das Gesicht berühren, die wilden Augenbrauen, die unerwartet zarten Augenlider, die schmalen Lippen.
Er biß ihr sanft in die Finger, leckte über ihren Handteller. Er löschte die Lampe. Arm in Arm gingen sie nach oben.
Vorsichtig trug sie die Uniform nach draußen, um sie im Garten zu lüften. Mit dem Zeichen seiner Kapitänswürde auf den Unterarmen steuerte sie auf den Abfallhaufen zu. Weg damit, dachte sie, verbrennen, für immer unbrauchbar machen. Sie hängte die Sachen in den Schatten des Quittenbaums, damit die Sonne das Blau der Jacke nicht ausblich. James saß in Zivilkleidung, die der Körper mehr ausfüllte, als sie es in Erinnerung hatte, auf einem Stuhl an der Mauer. Sein Gesicht sah entspannt und ausgeruht aus. Sie ging zu ihm; das Gras unter ihren Fußsohlen fühlte sich weich an.
Lange würde er nicht sitzen bleiben, schon bald würde er aufspringen und in Aktion treten. Das war seine Art. Sobald die Trägheit der Nacht wich, wollte er rege sein, Pläne machen und Menschen sprechen. Jetzt noch nicht, jetzt waren sie einen Moment still zusammen in ihrem Garten.
Von Seefahrt und Wind verstand sie nichts, sie wollte auch gar nichts darüber wissen, aber dennoch kam das Bild von einer friedlichen Windstille zwischen zwei Stürmen bei ihr auf. Wenn sich der Wind legte, veränderte sich das Tempo an Bord. Unter den schlaff herabhängenden Segeln machten sich die Matrosen an überfällige Arbeiten. Saubermachen, reparieren. Vielleicht erzählte jemand Geschichten, oder der musikalische Marinesoldat spielte auf seiner Geige. Alanche hingen über der Reling, um Fische zu fangen, andere wuschen ihr Hemd. James saß dann wohl in seiner Kajüte, um das Tagebuch auf den neuesten Stand zu bringen.
Er konnte nicht viel tun. Die Resolution war auf dem Weg von Portsmouth nach London und würde erst in einer Woche mit allen zusammengetragenen Schätzen im Dock von Deptford ankommen. Die Karten und die Logbücher lagen drüben in Greenwich, auf Tischen und Sekretären im Admiralitätsgebäude. Sandwich und Stephens würden sich andächtig und voller Bewunderung darüberbeugen, Seite über Seite mit ihren Blicken verschlingen. Bis sie ausgelesen hatten, herrschte diese Windstille, und die Welt war nicht viel größer als der Garten. James bückte sich und streichelte ihren nackten Rist. Dann erhob er sich. Was sollte sie machen? Dicke Bohnen enthülsen, für das Essen später. Die schwarzen Johannisbeeren pflücken. Letzte Hand an Jamies Reisekiste legen.
Sie saß auf einem Hocker zwischen den Johannisbeersträuchern und ließ die schweren Trauben, noch warm von der Sonne, auf ihrer Handfläche ruhen, bevor sie sie in die Schüssel auf ihrem Schoß gleiten ließ. Sie hörte James mit den Jungen reden. Er hatte den kleinen Globus aus dem Zimmer geholt und auf den Gartentisch gestellt, um den Kindern zu zeigen, wo er gewesen war. Im weiten, leeren Ozean zeigte er, wo er Land gefunden hatte. Verblüfft und stolz waren die Jungen, es war ein Triumph, daß ihr Vater mehr wußte, als auf dem Globus angegeben war.
»Wenn du ein Land findest«, fragte Nat, »woher
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