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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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übrig für den Kapitän des Schwesterschiffs, der Mann war nachlässig und interessierte sich nicht für die Entdeckung und sorgfältige Kartierung von neuem Land. Überdies ignorierte er James' Anweisungen, nahm es nicht so genau mit dem Lüften des Raums und zwang seine Matrosen nicht, Frischkost zu essen und sich täglich zu waschen. Das tat er selbst auch nicht, vermutete James. Aber einen putzigen Eingeborenen nach England schleppen, das konnte er. Omai selbst war überglücklich und hatte sich mit Haut und Haar ins Londoner Leben gestürzt. Ein jeder wollte ihn sehen und ihn den Gruß aussprechen hören, den ihm die Matrosen an Bord beigebracht hatten. Ein Wunder, diese verballhornte Sprache aus dem Munde eines Menschen, der am anderen Ende der Welt lebte! Man hatte ihn begeistert auf Bällen und Banketten empfangen, hatte ihm ohne Erfolg Reitunterricht erteilt und ihn leidlich Schlittschuhlaufen gelehrt. Er besaß einen Jagdanzug und ein Gewehr. Er konnte elegant in Schuhen laufen. Sandwich und Solander hatten ihn dem König präsentiert, den er begeistert und unbefangen begrüßte.
    Schon während seines Aufenthalts am Kap hatte James vom gesellschaftlichen Leben des charmanten Wilden erzählen hören. Er war außer sich geraten. Was hatte es für einen Sinn, einen Eingeborenen aus seiner Umgebung herauszureißen? Die Londoner begafften den eitlen Mann, als wäre er ein Nashorn oder ein Känguruh, und würden ihn in der nächsten Saison fallenlassen wie einen Stein. Und dann? Auch fand er Omai dumm und kindisch; wenn man schon jemanden aus der Südsee nach England holte, sollte man einen auswählen, der etwas zu erzählen hatte, so daß man ein Wörterbuch seiner Sprache erstellen konnte und eine Beschreibung der Geschichte seiner Insel. Schlittschuhlaufen! Der Mann mußte zurückgebracht werden. Wobei seine mißgünstigen Stammesgenossen ihn zweifellos bestehlen und ausstoßen würden.
    »Was wirst du dem König sagen?« fragte Nat.
    »Ich werde dem König vorschlagen, Omai zurückbringen zu lassen. Er gehört nicht hierher. Er wird hier unglücklich werden.«
    Der Junge erschrak. »Bringst du ihn selbst zurück?«
    James schwieg. Mit einem Mal hing eine angespannte Stille über dem Tisch. Besteck fiel klappernd herunter.
    »Wir werden erst einmal beraten. Mal sehen, was geschieht.«
    Beide Kinder beugten sich über ihre Teller. Ein Messer kratzte auf Steingut. Elizabeth hörte kauenden Kiefern und schluckenden Kehlen zu. Sie versuchte, an nichts zu denken.
    Der König hatte eine Karosse geschickt, die sie zum Palast bringen sollte. Nach dem Empfang stand dieselbe Karosse am Fuße der Treppe bereit, um sie über den langen Weg entlang dem Fluß wieder nach Hause zu bringen. James und Elizabeth lauschten dem Stampfen der Pferdehufe und blickten über das Wasser. James befreite sich von seinen Handschuhen und stopfte sie in seine Hosentasche. Einen Augenblick legte er die rechte Hand an ihre Wange.
    Eine Woche war vergangen. Sie hatte gesehen, wie er den Tagen schon bald ein festes Schema gab. Morgens las er an dem freigeräumten Tisch die Post und schrieb Briefe. Mittags verschwand er durchs Gartentor, um in seiner Stammschenke einzukehren, wo er gewiß stürmisch von Freunden und Bekannten willkommen geheißen wurde, die seine Geschichten hören wollten. Wenn er genug davon hatte, erhob er sich und ging nach Hause. Dort war Elizabeth, im Garten oder in der Küche beschäftigt. Sie sprachen kaum miteinander über die Reise. Sie sprachen nicht über die Zukunft. Sie bewegten sich aneinander vorbei durch die Zimmer und Flure, ohne einander zu stören. Nachts, in dem engen Bett unter dem Fenster, fanden sie einander wieder.
    Jamie war am Tag des Empfangs beim König abgereist. Sein glattes Jungengesicht verriet keinerlei Unsicherheit oder Angst, er tat, was getan werden mußte, trug selbst seine Kiste nach draußen und putzte ein letztes Mal seine Stiefel. James hatte ihn beiseite genommen, um ihm zu sagen, wem er Grüße überbringen solle. Sie sah Vater und Sohn bei der Palme hinten im Garten stehen und hatte plötzlich Mitleid mit dem Jungen, der so selbstverständlich dem Vater nachfolgte, an den er niemals würde heranreichen können. Jamie konnte nicht über die gebahnten Wege hinausblicken. Mußte das denn sein? Vielleicht war er am glücklichsten, wenn er das Nächstliegende tat. Er war kein ängstliches Kind, und Kummer schien an ihm abzugleiten. Sie mußte ihn an den Todestag seiner Schwester

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