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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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Möglichkeit, Proviant zu beschaffen. Deshalb nehme ich die Tiere mit. Der helle Wahnsinn, denn es ist voll und unübersichtlich an Deck, und es bedarf vieler Arbeitskräfte, sie zu füttern und ihre Ställe sauberzuhalten. Wenn eine Welle übers Deck schlägt, werden die Hühner und die Gänse naß, und das Fieber fliegt sie an. Halte ich sie unter Deck, ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß sie ersticken, und unsereins geht ein vor Gestank. Und das ist nur das Geflügel. Ich hatte Schafe mit. Eine Ziege für die Milch. Rinder! Die Leute haben selbst auch öfter Tiere dabei, zur Gesellschaft, zur Unterhaltung. Den Matrosen kann ich es verbieten – Affen, Katzen, über Bord damit. Die sogenannten Wissenschaftler muß ich gewähren lassen. Ich verlange aber schon, daß sie die Tiere in ihrer Kajüte einschließen. Dieser kleine Kläffer von dem sauertöpfischen Forster! Der Mann hatte für niemanden ein freundliches Wort, aber sein Hündchen hatte er immer auf dem Schoß. Als ich krank war, haben sie es für mich geschlachtet, das muß ich ihm lassen. Er weinte, sagten mir die Offiziere später. Ich bekam Bouillon, gekocht aus Forsters kleinem Kameraden, und drei Tage hintereinander Hundefilet. Das hat mir gutgetan.«
    Krank? James war nie krank. Sie mußte so schnell wie möglich die Tagebücher zu Ende lesen. Er antwortete ausweichend auf ihre Frage.
    »Eine Kolik. Etwas Falsches gegessen vielleicht. Ich bekam einen fürchterlichen Schluckauf von all den elenden Brechmitteln, die der Doktor mir verordnete. Aber nach dem Hund ging es mir besser. Es ist nicht wichtig, es war im Nu vorüber.«
    Im Bett. Die zwischen ihm und ihr gähnende Schlucht ungeteilter Erfahrung wurde überbrückt, mühelos. Ihre Sorgen in bezug auf Nat wurden zu bloßen Worten. Ihre Angst in bezug auf James' Krankheit erschien ihr plötzlich absurd. Sie sanken schwer in tiefen Schlaf.
    »Lord Sandwich will ein einziges Buch«, sagte James. Den ganzen Vormittag war er drüben zur Beratung gewesen. Es hatte eine zwiespältige Wirkung auf ihn, die sie nicht ganz deuten konnte. Energisch machte es ihn, gewiß, er machte größere Schritte und erhöhte das Tempo seiner Bewegungen. Hatte er die Überfahrt im Boot der Admiralität genossen, hatte er sich kurz auf See gewähnt? Aber da war auch noch eine andere Seite, eine minimale Verletztheit, die sie seinem Blick entnehmen konnte. Unter den Männern der Wissenschaft und der Literatur war er nicht der Kommandant, höchstens ein Gleicher unter Gleichen, doch in seinen eigenen Augen weniger als das. Diese Unsicherheit konnte sie sehen.
    »Forster schreibt die Hälfte. Beobachtungen und Betrachtungen über Pflanzen und Tiere und Bodenbeschaffenheit. Sein Sohn assistiert ihm. Den mag ich schon, ein aufgeschlossener Bursche. Spricht viel besser Englisch als sein Vater. Aber über das Geschäftliche muß ich mich, fürchte ich, mit dem Alten einigen. Arroganter Kerl. Er weiß viel, er ist äußerst gelehrt, aber das sollen wir auch alle wissen. Sandwich schien mir ziemlich verärgert zu sein. Er war kurz angebunden, fast schon spitz.«
    »Was erwarten sie von dir?«
    »Es geht um meine Reise. Ich schreibe die Geschichte. Die Wissenschaft kann ihre Randbemerkungen in Form von Forsters Philosophien anbringen. Ich sehe sie als eine Art Illustrationen, genauso wie die Stiche von Hodges und die Karten, die ich in den Text einfügen möchte. Ich will am Ruder stehen. Ich habe während der Reise so hart an diesem Journal gearbeitet. Was dort liegt, ist die fünfte Fassung!«
    Er erhob sich und legte die Hände auf das aufgeschlagene Manuskript. Es war ein einziges Chaos auf den Seiten, ein Heidenwirrwarr zwischen den Zeilen. Durchgestrichene Sätze, in winziger Schrift Hinzugefügtes, begleitet von Pfeilen und Verbindungslinien, schräg an den Rand geschriebene Passagen, halb festgeklebte Zettel mit weiteren Ergänzungen, und quer durch alles hindurch fette Striche in roter Tinte und Ausrufezeichen.
    Sie setzten sich nebeneinander an den großen Tisch.
    »Noch einmal«, sagte Elizabeth. »Du kannst jetzt eine definitive Version machen, jetzt hast du die Zeit und die Ruhe, darüber nachzudenken.«
    Nein, er lasse sich nicht hetzen. Nicht von dem raffgierigen Forster, der sich für seine Mitarbeit gewaltige Summen ausbedinge, und nicht durch drohende vorzeitige Veröffentlichungen von Besatzungsmitgliedern, die es verstanden hätten, ihre geheimen Aufzeichnungen vor der Admiralität verborgen zu halten. Sein

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