Letzte Reise
löste sein Halstuch und knöpfte seine Weste auf. John brachte Bier, Isaac trank und wischte sich mit dem Handrücken die vollen Lippen ab. Nat schaute mit großen Augen zu.
»Weißt du noch, Nat?« fragte Elizabeth. »Isaac ist mit Papa mitgefahren. Wir haben ihn kurz vor dem Auslaufen auf der Resolution gesehen. Du hast dem Dudelsack zugehört. Und der Geige.«
»Ich war schon zweimal mit deinem Vater um die Welt«, sagte Isaac zu dem Jungen. »Er hat mich in Neu-Holland als ersten an Land gehen lassen. Das war auf der Reise mit der Endeavour. Wir fuhren in eine herrliche Bucht und gingen dort vor Anker. Alle waren aufgeregt und froh, daß wir endlich Land in Sicht hatten. Der Kapitän ließ das Beiboot herunter und winkte mir, daß ich einsteigen sollte. Wir ruderten an den Strand. Es war schwer zu erkennen, ob dort Menschen standen, vielleicht jenseits davon, zwischen den Bäumen. Er hatte das Fernrohr um den Hals, der Kapitän. Das Beiboot setzte auf, und wir erhoben uns. ›Du zuerst, Isaac‹, sagte der Kapitän, und er ließ mich in die Brandung treten. So wurde ich zum ersten Fremden, der den Fuß auf das neue Land setzte.«
»Waren Menschen da?« fragte Nat.
»Sie taten, als sähen sie uns nicht«, antwortete Isaac. »Ganz seltsam war das. Da lag ein riesiges Schiff in ihrer Bucht, sie hatten so etwas natürlich noch nie gesehen – aber es war, als existierten wir nicht. Sie machten einfach mit dem weiter, was sie gerade machten: Muscheln sammeln, ein Feuer schüren. Sie sahen durch uns hindurch. Der Kapitän versuchte, ihnen etwas zu schenken, er legte Nägel und Glasperlen vor eine Hütte. Sie ließen die Geschenke auf dem Boden liegen, ihr Blick glitt darüber hinweg. Sie müssen alles gesehen haben, aber sie ließen es nicht an sich heran. Wir mit unseren Schiffen und Sachen existierten nicht.«
»Hast du jetzt frei?« fragte Mary.
»Gerade zurück. Bin jetzt auf halbem Lohn. Ich habe mich auf die Liste für die neue Expedition setzen lassen. Ich warte.« Er schaute verlegen zu Elizabeth, während er weiterschwatzte. »Es gibt nichts Schöneres, als über den Stillen Ozean zu fahren. Beim letztenmal habe ich auch richtig beim Kartenzeichnen mitgemacht. Land, das noch keiner kennt! Durch unsere Zeichnungen existiert es auf einmal! Das möchte ich gerne noch einmal erleben, am liebsten natürlich wieder mit Kapitän Cook. Kommt er mit?«
»Es steht noch nichts fest«, sagte Elizabeth. »Sie üben Druck auf ihn aus, sie wollen gern, daß er fährt. Wir müssen noch darüber sprechen.«
Sie empfand nichts und sprach die gefährlichen Worte aus wie eine bloße Mitteilung. Doch mit einem Mal wurde ihr bewußt, daß Nat mithörte, und sie bedauerte, daß sie den Mund aufgemacht hatte. Die mögliche Abreise war eine Angelegenheit zwischen ihr und James, zwischen ihr und Palliser; die Kinder hatten nichts damit zu tun.
Nat aß ungerührt weiter. Als er den vierten Pfannkuchen verdrückt hatte, nahm er seinen Mut zusammen und begann, Isaac über die Ausbildung bei der Marine zu befragen.
»Wir hatten zwei Hornisten in der Klasse«, sagte Isaac. »Sie machten bei allen Unterrichtsstunden mit und mußten wie alle anderen in die Wanten, aber sie durften auch jeden Tag auf ihrem Instrument üben. Abends spielten sie immer ein Lied, bevor wir schlafen gingen. Das war schön, diese beiden Stimmen durcheinander, schrecklich traurig und zugleich so wunderschön. Du solltest Hornist werden, Nat.«
Elizabeth erhob sich und brachte ihren hinunterrutschenden Rock in Ordnung. Sie folgte ihrer Mutter in die Küche, einen Stapel schmutziger Teller in den Händen. Eine Öllampe flackerte in der Zugluft und sorgte dafür, daß sich ihre Schatten schaurig groß über die weiß getünchten Wände bewegten.
Mary zog ein Fläschchen Gewürznelkentinktur aus ihrer Schürzentasche und rieb mit dem Zeigefinger ihr schmerzendes Zahnfleisch ein. Elizabeth sank auf einen Hocker nieder. Bitte keinen Abwasch. Bitte überhaupt nichts mehr. Sie zog ihre Haube herunter und lehnte den Kopf an die Wand.
»Bleib heute nacht hier«, sagte Mary. »Isaac geht in die Stadt zurück, er kann eine Nachricht bei James abgeben. Du kannst mit Nat ins Gästebett.«
Sie nickte. Plötzlich weinte sie heiße Tränen, die sie einfach über ihre Wangen laufen ließ. Es war ein trauriges Gefühl, aber kein unangenehmes. Mary fummelte weiter an ihren entzündeten Kiefern herum; entfernt waren die Stimmen der Männer zu hören. Von Zeit zu Zeit
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