Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
Vom Netzwerk:
klingelte das Glöckchen, wenn Kunden hereinkamen. Niemand störte die beiden Frauen in der Küche.
    Mary nahm den Finger aus dem Mund.
    »Wenn man etwas will, wird man nur enttäuscht«, sagte sie. »Es läuft immer anders. Du trägst dich mit irgend etwas, ich sehe es dir an. So bist du immer gewesen, schon als kleines Mädchen. Du hast Pläne, du weißt, wie du es haben möchtest. Das macht dich verletzbar, Kind. Jetzt hast du die Bescherung.« Sie griff zu einem schmutzigen Geschirrtuch und gab es ihrer Tochter, die sich langsam damit über die nassen Wangen wischte.
    »Das einzige, was du tun kannst, ist nachgeben. Du mußt wie das Gras sein. Sie trampeln dich mit ihren schweren Holzschuhen nieder, und du beugst dich. Irgendwann werden sie die Füße woandershin stellen, dann richtest du dich wieder auf. Wenn du starr aufrecht bleiben würdest, wie das Schilf, würdest du brechen. Eis geht vorüber, Elizabeth, alles hat ein Ende, so oder so. Warten. Kein Widerstand, denn dann verlierst du.«
    »Wie das Gras«, flüsterte Elizabeth. Das ist schön. Das Gras am Fluß: überschwemmt, vertrocknet, abgefressen, flachgeweht. Und es kommt immer wieder. Wie das Gras werde ich sein. Wie das Gras.
    7
    Sie sah sehr wohl, daß er sich ziemlich verlegen in die Stube zurückziehen wollte. Weil er die Tür nicht hinter sich schloß, hörte sie die verräterischen Geräusche: das Schaben von Stuhlbeinen über den Fußboden, das Offnen des Tintenfasses, das Knacken von Papier und schließlich das Wispern der Feder. Ohne Unterbrechungen. Er wußte, was er schrieb.
    Auf dem Flur liefen sie sich über den Weg; er hatte den versiegelten Brief in der Hand.
    »Eine Formalie«, sagte er, »im Grunde ist es nur eine Formalie. Ich sage zu, was ich bereits versprochen habe, und widme mich jetzt den Vorbereitungen. Dann bin ich es, der die Besatzung auswählt, die Ladung bestimmt, die Zwischenhäfen, die Route. Ich habe Sandwich ersucht, mich wieder auf meinen Posten im Hospital zu berufen, sobald ich zurück bin. Damit du das weißt.«
    Er hielt den Brief hoch. »Dies ist ein formeller Schritt im Lauf der Dinge. Er bedeutet nichts. Ich kann mich bis zum letzten Moment ablösen lassen, wenn ich das möchte.«
    Sie nickte. Ein schwerer Stiefel, der das Gras niederdrückte, mehr war es nicht. Kardonen würde sie dieses Jahr säen, an der warmen Gartenmauer. Sie freute sich schon auf die meterhohen Pflanzen, die sie mit in Streifen gerissenen Laken hochbinden würde, die Blätter dicht ineinandergeschoben, damit sie vor der Sonne geschützt waren. Die weißen Stiele würde sie in Stücke schneiden und dünsten. Dann würde schon beinah Herbst sein, und sie würde hier mit flachem Bauch stehen. Dann würde ein Kind in der Wiege liegen, dann würde ein anderes Kind fort sein. Es bedeutete nichts. Sie konnte es sich nicht vorstellen, wie sie auch nicht glauben konnte, daß je wieder etwas in dem gefrorenen Garten wachsen würde. Ein Tag nach dem anderen, dachte sie, Schritt für Schritt. Wer sollte die Kardonen eigentlich essen?
    Mittags wurden zwei Briefe zugestellt, einer für ihn und einer für sie. Sie saßen einander gegenüber am Kamin im großen Zimmer und lasen. James schaute als erster auf. »Antwort von Sandwich«, sagte er. »Der ist schnell bei der Sache. Ich bin ernannt. Morgen hisse ich meinen Wimpel auf der Resolution. Mal sehen, ob sie mit den Reparaturen vorankommen, diese elenden Pfuscher dort im Dock. Ich kann nach Greenwich zurück, wann immer ich möchte, das steht hier schwarz auf weiß. Was hast du für Neuigkeiten?«
    Sie faltete den Brief zusammen und steckte ihn in ihre Jacke. »Mutter. Daß es gemütlich war, neulich, als ich mit Nat zu Besuch war.« Zu ihrer Verblüffung errötete sie nicht, ja hatte nicht einmal über die Lüge nachzudenken gebraucht.
    »Daß deine Mutter dir schreibt! Ich wußte gar nicht, daß sie es kann. Da mußt du ihr aber eine sehr große Freude gemacht haben. Ich gehe kurz weg. Man erwartet mich im Kaffeehaus.«
    Erst als sie die Tür hinter ihm zuschlagen hörte, zog sie den Brief hervor und las ihn noch einmal.
    Elizabeth, liebe Elizabeth!
    Ich weiß nicht ein noch aus seit unserem so unselig verlaufenen Gespräch. Ich denke Tag und Nacht an Dich, Deine Enttäuschung, Deine Wut. Ich rede mit Dir, unaufhörlich. Du wirfst mir vor, daß James geht. Ich verstehe das. Er dürfte nicht gehen, er ist zu müde, es ist jedenfalls zu rasch nach seiner Rückkehr. Du mußt verstehen, daß ich ihn

Weitere Kostenlose Bücher