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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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sagte James. »Aber du bist hier. Kommst du mit? Ich bin soweit.«
    Seiner Stimme war nichts anzuhören. Doch er war ein guter Beobachter. Auf seinen Reisen war er ganz und gar von seinem Beobachtungsvermögen abhängig. An Gesichtsausdruck, Körperhaltung und Gesten las er die Absichten seines Gegenübers ab. Friedfertig? Feindselig? Das mußte er können, denn eine gemeinsame Sprache gab es nicht. Warum sah er dann nicht, was sich hier abspielte?
    Er hatte sich etwas ungeduldig umgedreht und richtete draußen vor dem Spiegel sein Halstuch. Einen Moment lang trafen sich ihre Blicke. Nichts geschah.
    Hugh Palliser erhob sich langsam und ächzend. James kam ins Zimmer zurück und reichte ihm, allem Anschein nach gerade rechtzeitig, seinen Stock.
    »Nicht der Schnellste heute«, sagte Palliser mit rauher Kehle. Er hustete umständlich in sein Taschentuch. »Laß uns erst mal etwas trinken gehen, danach wird es schon besser sein. Elizabeth, ich hoffe, dich recht bald etwas ausführlicher zu sprechen. Auf Wiedersehen.«
    Sie war zu verblüfft, um auch nur zu nicken, und lauschte dem Gepolter auf dem Flur. Dann stand sie auf, um durch das schmale Fenster an der Straßenseite zu schauen. James hatte Palliser den Arm gereicht, dicht nebeneinander schoben sich die Männer die Straße entlang. Sie sah, daß sich ihre Lippen bewegten, daß ihre Augen aufleuchteten, ein Kopfschütteln, ein Lächeln – sie sah zwei Freunde, die sich freuten, daß sie einander getroffen hatten. Ihr fiel auf, wie sehr sie sich ähnelten, so von hinten betrachtet. Groß, hager, schmale Waden und ausgeprägte Schultern. Die Gesichter unterschieden sich: James wirkte mit seinen schweren Augenbrauen und seinen stechenden Augen eher etwas wüst; Palliser hatte meistens einen freundlich-spöttischen Ausdruck auf dem ebenmäßigen, ovalen Gesicht. Aber das konnte sie jetzt nicht sehen.
    Ich müßte etwas empfinden, dachte sie, Wut, Kränkung, irgend so etwas. Kummer oder die Niedergeschlagenheit, die sich einstellt, wenn man verlassen wird. Aber ich empfinde nichts. Ich warte darauf, daß da drinnen ein Sturm aufkommt, doch es ist windstill. Sie massierte ihren Bauch, bis sie fühlte, daß sich das Kind bewegte. Druck und Gegendruck, ein sich entfaltendes kleines Spiel.
    Nat kam nach Hause und strahlte, als er die Stiefel sah. Sie tranken Tee und sprachen über die Pflege des Leders. Er holte den Topf Lederfett aus der Waschküche, und sie begannen, jeder mit einem Stiefel auf dem Schoß, zu putzen und zu reiben. Das Leder wurde dunkel, satter und kam glänzend unter den Putzlappen zum Vorschein. Nat seufzte. Er stieß seine abgetragenen Schuhe unter den Tisch und glitt mühelos in die geschmeidigen neuen Schäfte. Perfekt.
    Liebe Frances!
    Jetzt ist schon beinah wieder Frühling, in unserem Garten blühen Winterlinge und Krokusse, also höchste Zeit, daß ich Dir schreibe. Uns erreichen natürlich Nachrichten über den Krieg, ich lese darüber in den Zeitungen und denke an Dich. Ich kann nur hoffen, daß Du nicht in Gefahr bist und in der Abgeschiedenheit, in der Ihr lebt, nicht viel von dem Ganzen mitbekommst. Ich verstehe zwar nichts von Politik, aber daß mir die Arroganz und die Machtgier unserer Regierung zuwider sind, das weiß ich. Warum dürft Ihr keine selbständige Nation bilden? Was geht England das an? Und all diese Kämpfe, all diese unnötig gestorbenen Jungen – nein. Sinnlos.
    Manchmal denke ich, daß ich es verstehe. Es gleicht dem Loslassen eines Kindes. Dann vergleiche ich Amerika mit unserem Jamie, der so begeistert von zu Hause weggegangen ist. Ich würde ihn auch gern mit einem Schiff voller Kanonen zurückholen. Doch wenn ich sehe, wie glücklich er in Portsmouth ist, legt sich dieses Verlangen. Dann lasse ich ihn.
    Nathaniel hat in diesem Winter gegen seine Zukunft aufbegehrt. Er war sehr still und verschlossen. In letzter Zeit geht es ihm besser. Mein Vetter Isaac, an den Du Dich gewiß noch erinnerst, hat mit ihm gesprochen und ihn in bezug auf das Seemannsleben offenbar etwas beruhigt. Ich muß sagen, daß ich es schrecklich finde, Nat gehen zu lassen. Er ist so verletzlich, so ungeeignet für die rohe Gesellschaft in der Schule dort – aber vielleicht sehe ich es falsch, und er findet dort einen Weg, eine Möglichkeit, dennoch die Dinge zu tun, die er liebt. Als Mutter hinkst du immer hinterher, das Kind ist ständig weiter und beherzter, als du denkst.
    Ich möchte Dir von James schreiben. Du weißt, daß er ans

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