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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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sich über die Augen.
    »Das läßt sich nicht ändern«, sagte ihre Mutter. »Männer bleiben eben Männer, nicht? Sie wollen raus.«
    Unwillkürlich mußte Elizabeth über diese Frau in ihren dunkelgrauen Sachen lachen, die, vom Gin gestärkt, tröstende Weisheiten von sich gab. Ihre Mutter lachte mit und legte die Hand auf Elizabeths Knie.
    »Gut so. Man kann nur darüber lachen. Was wollen sie bloß erreichen, wozu die ganze Mühe, wo wollen sie hin? Er wird schon wiederkommen, das hat er immer getan. Einfach warten, irgendwann hat er genug von der Reiserei. Und du kannst es ihm ja doch nicht ausreden, er ist dickköpfig wie ein alter Stier, das weißt du. Hier, nimm auch etwas.« Sie hielt die Flasche hoch.
    »Ein kleines bißchen«, sagte Elizabeth. Vom scharfen Gingeruch wurde ihr unpäßlich, aber sie zwang sich, einen Schluck zu nehmen. Der Alkohol brannte ihr so in der Kehle, daß sie beinah wieder weinen mußte. Aus der Küche wallte der Dunst von sengendem Fett.
    »Wann kommst du nieder?«
    Elizabeth streckte sich noch ein wenig mehr auf ihrem Stuhl aus. »Im Mai. Dann ist er schon fort, wenn alles nach Plan läuft.«
    »Na, du kennst es ja nicht anders, oder? Ich komme dir helfen, John schafft das hier leicht eine Weile allein. Oder hast du diese Freundin noch, Fanny, Franny?«
    »Frances«, sagte Elizabeth. »Nein, die ist nach Amerika ausgewandert. Als Vater starb, wie war es damals für dich, allein zu sein? Du erzählst nie davon.«
    Ihre Mutter schenkte sich das Glas wieder voll und massierte ihre schmerzenden Kiefer.
    »Onkel Charles hat uns geholfen. Ich lernte auch bald deinen Stiefvater kennen. Es ist lange her, ich denke nie mehr daran. Du solltest nicht so viel grübeln. Die Dinge sind, wie sie sind, Kind. Es macht dich nur müde, wenn du sie ändern willst. Und enttäuscht, denn alles geht, wie es geht, und dagegen kannst du nichts ausrichten. Nichts.«
    Ich kann nichts dagegen ausrichten, dachte sie. Wie James sagte: Es liegt nicht an mir. Ich habe nichts damit zu tun. Aber es geht doch um mich, um uns? Es ist doch so, daß er mich im Stich läßt? Warum denken alle an seine Beweggründe, und niemand versetzt sich in mich hinein? Sehe ich es falsch, verstehe ich irgend etwas nicht? Könnte ich doch wie meine Mutter sein. Nicht grübeln! Wo meine Zukunft in Scherben geht!
    Sie leerte ihr Glas. Nat kam mit einem Teller dampfender Pfannkuchen herein. Er lachte.
    Seit Ewigkeiten hatte sie sich nicht mehr so wohl gefühlt. Alle vier hatten sie beim Essen die Ellbogen auf dem schmutzigen, unordentlichen Tisch aufgestützt. Nat unterhielt sich angeregt mit ihrem Stiefvater, sie hörte Geschichten, die er zu Hause nie erzählt hatte. Fettflecken auf seinem neuen Hemd. Egal. Sie lehnte sich zurück und schob ihren Bauch heraus. Nachher wieder in dieser elenden Kutsche zu dem elenden Haus zurück; sie mochte nicht daran denken. Nat machte sich über seinen dritten Pfannkuchen her, während er mit vollem Mund von seiner Geige erzählte. Er sprach mit Stolz von seinem Lehrer, der alles könne: Orgel spielen, komponieren, streichen.
    »Trompete kann er nicht mehr. Er hat keine Zähne. Singen schon, das bringt er mir auch bei.«
    »Du mußt mal hier bei uns fiedeln«, sagte ihre Mutter. »Da kannst du dir was verdienen, am Samstagabend. Wenn du etwas älter bist.« Sie sah Elizabeth von der Seite an, die zustimmend nickte. Was tue ich denn, dachte sie, ich lasse mein Kind doch nicht in so einer schmuddligen Schenke voller betrunkener Matrosen spielen, damit bin ich doch gar nicht einverstanden! Sie hob das Glas und bekam noch Gin. Ein Glöckchen klingelte, schnelle Schritte wurden laut.
    »Isaac!« rief ihre Mutter. »Lauter Überraschungen heute abend! Komm, setz dich, nimm einen Pfannkuchen. Sieh mal, wer hier ist: deine Kusine Elizabeth mit ihrem kleinen Musikanten.«
    Elizabeth versuchte, ungesehen ihren Rock zu schließen, konnte aber die Häkchen nicht finden. Nat sprang auf und gab Isaac die Hand. Ach laß, dachte sie, ist doch egal. Ich bin zu Hause. Ihr Vetter war drahtiger geworden und sah nicht mehr so jungenhaft aus. Ihr fiel auf, wie sehr er ihrer Mutter, seiner Tante, ähnelte. Die Haare, bei ihm gesunde dunkelbraune Wellen und bei ihr grauschwarze Strähnen, fielen beiden auf die gleiche Weise ums Gesicht.
    »Bleib sitzen, Tante Mary«, sagte Isaac, »ich komme schon heran.«
    Er zog sich einen Stuhl herbei und setzte sich breitbeinig an den Kopf des Tisches, zwischen Elizabeth und Mary. Er

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