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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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Hospital benannt wurde, ein Ehrenposten, eine Art Pensionierung zum Dank für seine Dienste. Ich war sehr glücklich darüber, denn das bedeutete endlich Ruhe, endlich ein Familienleben ohne Angst und Unsicherheit. Ich schreibe in der Vergangenheitsform, Frances, denn es sieht ganz danach aus, daß sich die Pläne schon wieder geändert haben. Die Akademie, die Admiralität, ja sogar der König – alle brennen vor wissenschaftlichem Feuer und Neugierde. Jetzt, da die südliche Halbkugel beschrieben ist, soll auch die Nordseite kartiert werden. James hat angeboten, die Expedition zu leiten. Sie haben sein Angebot natürlich sofort und nur zu gern angenommen. Da ich das jetzt so zu Papier bringe, scheint es, als hätte ich mich damit abgefunden, aber ich sage Dir ganz ehrlich, daß ich keine Ahnung habe, was ich davon halte. Werde ich diesen Sommer allein in diesem Haus sein? James auf See, die Jungen auf der Schule, und ich hier mit all den leeren Zimmern und Räumen. Und dem Baby, obwohl ich daran kaum zu denken wage.
    Eigentlich glaube ich nicht, daß etwas daraus wird. Ich glaube, James tut nur so, als ob, um dann im allerletzten Moment seinem Kollegen das Kommando zu überlassen und einfach an Land zu bleiben. Das ist ein ganz starkes Gefühl, das ich nicht beiseite schieben kann. Ich weiß es einfach.
    Er hat jetzt alle Hände voll mit den Vorbereitungen zu tun, er sagt, die Schiffe seien auf der Werft in Deptford ungeheuer verwahrlost worden, das muß er jetzt beheben; er macht Listen von Dingen, die mitmüssen, ich sehe sie auf dem Tisch liegen; er führt Gespräche mit Offizieren, die sich für die Reise angemeldet haben. Aber wenn alles getan ist, wenn er zufrieden sein kann mit der Ausrüstung der ganzen Unternehmung – dann wird er sich zurückziehen.
    Oder mache ich mir selbst etwas vor? Ich möchte so gern, daß er dieses Kind zur Welt kommen und aufwachsen sieht. Was soll ich tun, Frances?
    Neulich war ich bei meiner Mutter. Sie sagte: Nimm es, wie es ist, widersetz dich nicht. Ich wußte nicht, was ich davon halten sollte.
    Ich umarme Dich, liebe Frances. Schreib mir recht bald wieder.
    Er freut sich wie ein Kind, dachte sie, als sie ihn sah. Er ging mit federndem Schritt und geradem Rücken, er lachte sie an und winkte mit dem Brief in seiner Hand.
    »Mitglied der Akademie!« rief er, zu laut fast, mit beinahe sich überschlagender Stimme. »Sie haben mich aufgenommen. Am siebten März halte ich meinen Antrittsvortrag.«
    Sein Haar stand in die Höhe, und sein Mantel war offen. Das Gefühl, daß sie etwas sagen, etwas tun mußte, wurde unerträglich. Sie erhob sich, machte zwei Schritte auf ihn zu; wieso sollte sie so froh, so erstaunt sein, es war doch zu erwarten gewesen, daß er Mitglied werden würde, nie hatte sie daran auch nur einen Augenblick gezweifelt – er offenbar schon, aber warum? Sie schämte sich.
    »Wie schön, James«, sagte sie, während sie ihn umarmte. Sie blies ihre Glückwünsche gegen seine Weste, sie fühlte seine Rippen, den Ansatz seiner Schulterblätter, das heftige Pumpen seiner Lunge.
    Er löste sich aus ihrer Umarmung, mußte in Bewegung bleiben. »Sie loben jedes Jahr eine Medaille für den besten Vortrag aus, wußtest du das? Wenn man die bekommt, ist man wirklich wer, dann hat man sich gegen die gescheitesten Köpfe durchgesetzt. Dann gehört man zur Vorhut der Wissenschaft.«
    Ein Faß ohne Boden, dachte sie. Es wird niemals genug sein. Man wirft haufenweise Anerkennung und Lob hinein, aber es hilft nichts. Ich muß aufhören zu denken, ich darf ihn nicht so sehen, aus dieser kritischen Distanz, sondern muß einfach mitmachen. Mich mit ihm freuen.
    »Hast du deinen Vortrag schon fertig? Wie lange mußt du sprechen? Ist es öffentlich?«
    »Nein, das glaube ich nicht«, sagte er. »Eine geschlossene Versammlung, ausschließlich für die Mitglieder. Der Vortrag muß eine Stunde lang sein. Ich habe zwar schon etwas aufgeschrieben, aber ich habe keine Ahnung, ob es ausreicht. Oder zuviel ist. Möchtest du es sehen?«
    Sie nickte und ging ihm voran in die Stube, wo sie sich abwartend an den Tisch setzte, mit verschränkten Armen.
    »Üben«, sagte sie. »Gib mir deine Uhr, dann schaue ich, wie lange du dafür brauchst.«
    James zog einen Stapel Papiere hervor und ordnete sie. Er nahm seine Uhr ab und legte sie vor Elizabeth auf den Tisch. Dann stellte er sich breitbeinig in den freien Raum zwischen Tisch und Tür und begann zu sprechen.
    »Langsamer«, sagte sie.

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