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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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dachte, es wäre zu kurz«, sagte er und klang plötzlich seltsam heiser und schwach. »Hast du auch genau hingesehen?«
    Sie reichte ihm die Uhr. Zehn vor halb eins. Er lächelte und steckte die Uhr in seine Westentasche. Befreit trank er sein Glas Wasser aus.
    »Wie war's, was meinst du? Wenn es zu lang ist, muß ich schneller sprechen. Oder soll ich die Passage über die Geschlechtskrankheiten weglassen? Das ist besser, glaube ich, ein unschickliches Thema. Und etwas, dem ich machtlos gegenüberstehe. Das streich ich, dann ist alles im zeitlichen Rahmen.«
    »Unsinn«, sagte Elizabeth. »Dein Vortrag handelt von Krankheit. Das ist eine Krankheit, ob du nun etwas dagegen ausrichten kannst oder nicht. Das ist Wissenschaft, James, es geht nicht um Erfolg, sondern um Fakten. Wenn du darin nicht ehrlich bist und Dinge wegläßt, weil sie deiner Meinung nach nicht schicklich sein könnten, hat es überhaupt keinen Sinn. Du solltest diese Dankesworte und ehrenvollen Erwähnungen streichen, die sind unangebracht. Warum solltest du dankbar sein? Sie können froh sein, daß sie dich haben, es besteht keine Veranlassung, dem König und Sandwich Honig um den Bart zu schmieren. Einfach weglassen.«
    »Meinst du? Geht das?«
    »Aber gewiß. Du präsentierst deine Schlußfolgerungen, die Ergebnisse deiner Maßnahmen, und dann bedankst du dich beim Publikum dafür, daß es so gut zugehört hat. So macht man das.«
    Woher nahm sie das Wissen? Als wüßte sie, wie man das macht. Aber sie wußte es, sie spürte, daß sie recht hatte, und seine erleichterte und zufriedene Miene bestätigte sie darin. Vielleicht geht es, dachte sie. Wenn sie ihn nur genug stützte, wenn sie ihn nur ausreichend verstand – dann konnten sie es zusammen gegen diese rätselhafte Gesellschaft aufnehmen, dann konnte er sich auch im Hörsaal und im Palast als Kapitän fühlen.
    Auf einmal war sie erschöpft. Sie hing weit nach hinten gelehnt in ihrem Sessel und stützte ihren Bauch mit den Händen. Das freundliche Gesicht Pallisers kam ihr in den Sinn; sie wollte das Bild weghaben, er war doch ein Verräter, er hatte sie fallenlassen und James' Schiff vernachlässigt, ein doppelter Verrat, unverzeihlich. Aber, dachte sie, aber … Sie versuchte, sich zur Ordnung zu rufen. Sie war jetzt auf sich allein gestellt, niemals wieder würde sie sich jemandem anvertrauen, der sich als Freund ausgab. Naiv war sie gewesen. Schwach. Er hatte sie getröstet, er hatte ihr seinen nackten Arm dargeboten. Ihr war, als tue sich in ihr ein schwarzer Abgrund auf. Darin versinken. Verschwinden. Sie schnappte nach Luft und richtete sich mühsam im Sessel auf, merkte, daß sie errötete. Aufhören, dachte sie, nicht denken. Es geht jetzt um James, um uns beide.
    Er hatte seine Aufzeichnungen wieder in der richtigen Reihenfolge zusammengelegt und verstaute sie sorgfältig in einer Ledermappe.
    »Du bist großartig«, sagte er. »Danke. Du hast mir enorm geholfen. Wenn ich diese Medaille bekomme, schenke ich sie dir.«
    Sie stand auf, um ihn zu umarmen. Die zerknitterten Jackenschöße strich sie ihm glatt, wischte ihm die Haare aus der Stirn und zog ihm die Manschetten über die Handgelenke. Arm in Arm standen sie vor dem Fenster und schauten in den Garten hinaus.
    »Hier«, sagte er. »Das ist es also. Unser Gebiet. Hiermit müssen wir auskommen. Ich werde einige Pflanzlöcher graben lassen für deine Kardonenzucht. Dort hinten, an der Mauer. Dieser ganze Grund. Keinerlei Bewegung darin. Wir liegen hier fest.«
    »Ja«, sagte sie. »Ein schöner Vortrag. Du wirst Erfolg damit haben. Auch wenn du festliegst, kannst du etwas Gutes zustande bringen. Laß die Dankbarkeit fahren. Du bist aus eigener Kraft dorthin gekommen, wo du jetzt bist.«
    Er nickte, ohne den Blick abzuwenden.
    »Gärten. Den Weltgartenplan hatte ich auch noch darin unterbringen wollen. Stell dir vor: Auf jeder Insel ein Gemüsegarten und Obstbäume, ein Kartoffelfeld, eine kleine Weide mit Ziegen und Schweinen. Hühner. Jedes anlegende Schiff kann seine Vorräte auffüllen. Verständige Eingeborene kann man zu Gärtnern ausbilden. Der König könnte sie dafür entlohnen. Ein Zaun darum herum, eine Eingangspforte mit Krone und englischer Fahne. Essen zu kaufen ist oft mit so einem gewaltigen Aufwand verbunden, tagelang ist man mit Förmlichkeiten und Intrigen beschäftigt. Manchmal ist überhaupt nichts zu bekommen. Welche Erleichterung wäre es da, wenn es einfach eine Art Laden gäbe. Soll ich das noch

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