Letzte Reise
hineinnehmen?«
Sie lachte. Er sah sie einen Augenblick verstört an und lachte dann mit.
Ob er nun geht oder bleibt, dachte sie, ich werde ein Kind gebären, und irgendwer muß mir dabei helfen. In drei Monaten ist es soweit, es wird unweigerlich geschehen. Durch die Ungewißheit, ob James nun abreisen würde, schien alles ungewiß geworden zu sein, und die Versuchung, mit dem Rücken zur Zukunft auf einem Stuhl sitzen zu bleiben, war groß. Das Kind trat gegen ihre Bauchwand. Sie zog sich die schmale Treppe zum Dachboden hinauf, um die Wiege zu inspizieren. Die kleine Matratze und die Decken nahm sie heraus, die konnte sie schon einmal lüften, waschen. Die Wiege selbst war zu schwer und zu groß für sie, die mußte jemand anders nach unten schleppen. Es roch nach Schimmel und Feuchtigkeit, Helligkeit drang durch ein kleines Fenster am Ende des Raums, und die Wiege stand wie ein dunkles Tier im Dämmerlicht. Sie trat dagegen, mit einem Mal war sie wütend auf diesen unheilverkündenden Kinderkäfig. Drei Kinder waren in diesem Bettchen gestorben, sie war verrückt, daß sie es noch im Haus hatte, verbrennen mußte sie es, in Stücke hacken und in den Herd damit. Für das neue Kind mußte eine neue Wiege her, eine leichte, aus Schilfrohr, aus Bambus, was auch immer, etwas anderes jedenfalls. Diese verdreckte Matratze würde sie auch wegwerfen, mitsamt den Decken. Ellys Decken.
Sie preßte die schimmligen Fetzen an ihre Brust und wußte nicht mehr, was sie machen sollte. Sitzen, dachte sie, ein Weilchen sitzen, dort auf der Fußbank. Ich will nicht, das ist es, ich will nicht mehr, aber ich muß. Womöglich werde ich glücklich sein mit dem Baby, richtig glücklich. Das geht doch nicht, das ist Verrat an ihr. Ich kann nie wieder richtig glücklich sein. Aber das ist wiederum Verrat an dem neuen Kind.
Ihre Augen gewöhnten sich an das Halbdunkel, und sie entdeckte schräg hinter einer großen Kiste das Spielzeugpferd, mit dem ihre Tochter auf die Straße gelaufen war. Niemand hat es weggeworfen, es ist einfach noch da, Frances wird es heraufgetragen haben, außer Sichtweite, fort.
Sie holte das Tier hervor und nahm das Tau in die Hand. Das letzte, was Elly in ihrer vierjährigen Faust gehalten hat. Ihr Pferd. Das Ende des Taus war schmuddlig und zerfranst. Sie rieb sich damit über das Gesicht, über die Augen, versuchte, den Geruch ihres Kindes aufzufangen, forschte nach einem Hauch von salzigem Kinderschweiß. Da war nichts. Ein mottenzerfressenes Pferd mit einem Stück Tau daran. Verschimmelte Decken, eine schmutzige Matratze.
Sie drapierte die Decken sorgsam über das Pferd und schirmte das Ganze mit der Matratze ab. So konnte es stehenbleiben. Sie hatte nichts zu suchen hier auf dem Dachboden, zwischen den abgedankten Möbeln und den fremdländischen Gegenständen, die James herbeigeschleppt hatte. Es war ein staubiges Museum, das sie von Minute zu Minute stärker beklemmte. Masken, die sie aus schwarzen Augenhöhlen anstierten. Matten aus Schilfgeflecht, mit Federn verziert, kunstvoll gearbeitete Körbe, Speere mit scharfen Spitzen – und zwischen all den exotischen Sachen die kläglichen Überbleibsel aus einem traurigen Haushalt: ein Schränkchen ohne Tür, ein Stapel verschlissener Handtücher, ein Eimer mit einem Loch im Boden.
Der Gedanke an die Energie und Willenskraft, die es kosten würde, den ganzen elenden Plunder wegschaffen zu lassen, machte sie mutlos. Jählings schloß sie die niedrige Tür und ging nach unten.
Obwohl es noch eiskalt war, hing doch ein Hauch von Frühling in der Luft. Schneeglöckchen und Winterlinge blühten zwischen dem gräulichen Gras, und wenn sich der Wind kurz legte, fühlte sie die Sonne auf dem Gesicht.
Die Hebamme hatte die Hände um Elizabeths Bauch gelegt. Sie schloß die Augen und konzentrierte sich auf die Lage und den Umfang des Kindes. Zwei Monate noch, sagte sie. Ein lebendiges Kerlchen, er strampelt und tritt. Er? hatte Elizabeth erstaunt gedacht, ich trage doch die ganze Zeit eine Tochter, wie kann da auf einmal ein Sohn in mir sein? Die Frau fühlt das falsch, es kann nicht sein. Auch ein Mädchen kann strampeln und treten. Sie hatten Absprachen in bezug auf Laken, warmes Wasser und Windelvorrat getroffen. Bei den ersten Anzeichen der nahenden Niederkunft würde Elizabeth Nat losschicken, um die Hebamme zu holen. Stundenlang einsam zu warten müsse doch nicht sein, hatte die Frau gesagt. Ich leiste Euch Gesellschaft, wir warten zusammen.
James ist
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