Letzte Reise
doch da, hatte sie gedacht, er sitzt neben dem Bett; während der Geburt geht er nach unten, wir rufen ihn, wenn das Kind da ist. Dann kommt er mit einer Flasche Port und drei Gläsern. Er wird seine Tochter halten, er wird strahlen vor Stolz und Freude. Dann trinken wir auf ihre Gesundheit, auf ihr Wohlergehen. Ich bin gar nicht allein. Aber sie sagte nichts.
Sie ging ein Stück am Fluß entlang. Das Wasser glitzerte in der Sonne, und die Teichhühner, diese nervösen Vögel, waren schon mit dem Nestbau beschäftigt. Einige hundert Meter vor ihr her liefen zwei Gestalten, ein schmächtiger Junge und ein Mann. Schlagartig erkannte sie ihren Sohn; so lebendig und energisch sah sie ihn sonst nie. Wer war der neben ihm? Sie beschleunigte ihre Schritte, bis sie den Mann deutlich sah: Isaac. Jetzt hörte sie auch ihre Stimmen, den aufgeregten, hohen Ton Nats und Isaacs helle Entgegnung. Sie verhielt den Schritt, als fürchtete sie, Nat würde in sich zusammenfallen, wenn er sie bemerkte. Laß ihn ruhig, dachte sie, er lacht, er stellt Fragen, er hat Interesse an Dingen, die Isaac ihm erzählen kann. Laß es geschehen; was es zu bedeuten hat, wirst du später sehen.
Sie wählte einen Pfad zwischen den Gärten und lief nach Hause zurück. Eine halbe Stunde später erschien Nat in der Küche, mit hängenden Schultern. Sie wollte ihn fragen, was er mit Isaac besprochen hatte, doch ehe sie sich's versah, war er schon wieder verschwunden, und sie hörte ihn sein Instrument stimmen.
Suppe. Sie fischte den Markknochen aus der heißen Brühe und machte sich ans Schneiden von Kohl und Wintermöhren. Sie erschrak, als an die Scheibe geklopft wurde, das Messer rutschte aus, und sie schnitt sich in die Finger. Mit den blutenden Fingerspitzen im Mund schaute sie Isaac an, der leise die Tür hinter sich schloß.
»Hab ich dich erschreckt? Das tut mir leid. Zeig mal her. Komm, ich pump etwas Wasser für dich. Du mußt das gut abspülen, sonst bekommst du Ärger damit.«
Dieses Schreckhafte, dachte sie, das muß ich ablegen. Ich benehme mich, als könnte man mich jeden Moment bei einem Verbrechen ertappen.
»Hast du einen sauberen Lappen?« Er faßte ihr Handgelenk und hielt ihre Hand unter den Wasserstrahl. »Der Schnitt ist nicht tief. Halt die Hand mal eben hoch, dann ist es gleich vorüber.«
Er wand ein Taschentuch um ihre Finger und zog einen Stuhl für sie herbei. Sie stützte den Ellbogen auf dem Tisch auf und hielt den Unterarm senkrecht in die Höhe, mit dem weißen Lappen wie einer Kapitulationsflagge im Topp. Sie mußten beide lachen.
»Ich sah dich vorhin mit Nat, ihr saht so fröhlich aus.«
»Ach, ich kläre ihn ein bißchen über die Regeln der Seefahrtsschule auf«, sagte Isaac. »Wie man sich dort am besten durchschlägt. Er hat Glück, daß Jamie schon da ist. Es ist sehr gut, einen älteren Schüler zum Beschützer zu haben, dann wagen sie es nicht so schnell, einen zu ärgern. Kapitänskinder können es schwer haben. Die anderen haben zwar Respekt vor ihnen, aber sie sind auch neidisch. Er muß die Knoten seiner Hängematte kontrollieren, bevor er zu Bett geht. Und die neuen Stiefel sollte er mit ins Bett nehmen, denn sie schneiden ihm glatt ein Stück davon ab! Das habe ich ihm alles erklärt. Und daß er sich gleich, am ersten Tag schon, einen Freund suchen muß. Schauen, wer nett aussieht, einen vertrauenswürdigen Eindruck macht. Nebeneinander schlafen, aufeinander achtgeben, einander helfen. Solche Dinge.«
So jung, dachte sie, so voller Begeisterung, so lebendig. Die Zukunft ist ein Fest, auf das er sich freut.
»Er muß etwas mit seiner Musik anstellen«, fuhr Isaac fort. »Geige ist nichts für die Seefahrt – in der Freizeit, ja, da kann er Lieder zum Tanzen und Trinken spielen. Aber es wäre viel besser, wenn er Trompete spielen könnte, dann könnte er Schiffsmusikant werden. Er will seinen Lehrer bitten, ob er nicht jetzt schon damit anfangen kann. In der Schule kann er dann weitere Stunden bekommen. Trompete finde ich großartig. Darüber haben wir geredet. Kommt der Kapitän noch nach Hause? Ich möchte ihn etwas fragen. Ob ich auf sein Schiff darf, nicht auf das andere. Ob er damit einverstanden ist, was meinst du?«
Elizabeth zog das Taschentuch von ihren Fingern und sah sich den blutigen Schnitt an. Das hier war wirklich, noch wochenlang würde sie die Wunde spüren, den straffen Strich sehen. Zeit. Körper.
»Aber gewiß möchte er dich bei sich haben«, sagte sie. »Wenn er
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