Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
Vom Netzwerk:
Hoffnungslos. Er denkt, daß seine Mutter ihr Wasser nicht mehr halten kann, er schämt sich. Wenn ich ihm freilich erkläre, was wirklich geschieht, ist es vielleicht noch schlimmer für ihn.
    Stimmen im Garten. Das Quietschen der Pumpe. Die Hebamme kam herein, James stand hinter ihr im Flur.
    »Es ist gerade passiert«, sagte Elizabeth. Sie mußte plötzlich hemmungslos weinen. James schnellte auf sie zu, die Hebamme scheuchte ihn weg.
    »Wir wollen jetzt erst einmal alles richten. Liegt eine Plane auf dem Bett? Handtücher? Wasser? Gnädige Frau, wir gehen nach oben.«
    »Augenblick«, schluchzte Elizabeth, »gleich kann ich. Eine Wehe.«
    Nat stand wieder im Zimmer, ein Sparschwein unter dem Arm. »Ich bekomm es nicht raus«, sagte er.
    »Frag doch deinen Vater«, brummte die Hebamme. »Wir haben zu tun.«
    »Deckplane von der Jolle«, murmelte James. Er verschwand in Richtung Waschküche und kam mit einer dunkelbraunen Plane zurück.
    »Nach oben! Auf dem Bett ausbreiten. Handtücher darüber. Geht nur, wir kommen.«
    Die Hebamme half Elizabeth auf. Nat stand blaß und verwirrt mitten im Zimmer.
    »Gib ihm Geld. Er fährt zu Mary. Jetzt.« Elizabeth redete leise und dringlich auf James ein.
    »Ja, natürlich.« Er legte die Plane auf den Boden, um in seine Tasche zu greifen. Nat nahm das Geld, suchte mit den Augen nach der Trompete und dem Koffer, setzte sich aber nicht in Bewegung.
    »Es ist gut. Geh ruhig«, sagte Elizabeth. Von der Hebamme gestützt, machte sie ein paar Schritte, bis sie vor ihm stand. Seine flaumige Oberlippe zitterte.
    »Vielleicht kannst du schon morgen wiederkommen. Wir schicken jemanden, der dich holt. Grüß Opa und Isaac.« Sie strich ihm übers Haar und schob ihn in Richtung Flur. Sich immer wieder umschauend, lief er mit seinen Sachen zur Tür hinaus.
    »Kapitän!« rief die Hebamme. »Rauf mit der Plane!«
    Endlich lag sie. Die Hebamme ließ den nassen Rock in den Wäschekorb gleiten und beugte sich zwischen Elizabeths angezogene Beine, um zu sehen, wie sehr sich der Muttermund schon erweitert hatte.
    »Warten«, sagte sie. »Es dauert noch etwas.« Sie deckte Bauch und Beine zu und gab Elizabeth einen kleinen Klaps auf die Wange.
    »Schön wach bleiben! Ihr müßt gleich arbeiten.«
    »Wo ist mein Mann?« fragte Elizabeth. Durch das Schlafzimmerfenster sah sie den knallblauen Himmel. Scharf abgegrenzte grellweiße Wolken segelten darüber, angetrieben vom Wind, der auch die Baumwipfel bog und durch das Laub blies, als müßten vor der Geburt aller Staub und Schmutz mit Macht hinweggefegt werden.
    Schändlich, ein Kind in eine Welt voll Wind und Unruhe zu setzen, dachte sie. Jetzt ist sie noch sicher, jetzt nimmt sie von mir, was sie braucht, und ich halte sie so warm, wie sie es sein muß. Nachher streicht die Zugluft über ihre nasse Haut, und sie wird weinen, zum erstenmal.
    »Den habe ich weggeschickt«, sagte die Hebamme. »Er wird im Kaffeehaus um die Ecke sitzen, das ist am nächsten. Er wollte erst den Jungen zur Postkutsche bringen. Danach warten. Wir lassen ihn schon rufen, wenn es soweit ist.«
    Als ob er das Kind prüfen muß, dachte sie. Ich presse es heraus, und ihm wird es zur Inspektion in die Arme gelegt. Er muß erkennen, daß er der Vater ist, er wird nach etwas im Körperbau, im Gesichtchen suchen, das ihm bekannt vorkommt. Vaterschaft bleibt eine unsichere Sache.
    Sie dachte an den Abend, den sie Gin trinkend in der Taverne ihrer Mutter zugebracht hatte. Isaac hatte von der letzten Reise erzählt, von der Rückkehr, wo war das noch, eine Insel, auf dem Weg nach Hause? Sankt Helena. Sie wurden vom Gouverneur empfangen, den sie auf der Hinreise nicht gesehen hatten. Skottowe hieß er. Der Kapitän habe ihn von früher gekannt, hatte Isaac aufgeregt erzählt, was für ein Zufall, der Vater des Gouverneurs sei der Landbesitzer gewesen, für den James' Vater gearbeitet habe! Unfaßbar, daß bei der ersten Landung kein Treffen stattgefunden hatte, der Kapitän hatte damals so schnell wie möglich weiterfahren wollen, er hatte Zwiebeln eingekauft und Wasser geladen und gleich wieder die Segel gehißt.
    Auf dem Rückweg hatten sie sich gesprochen, der Gouverneur und der Kapitän, die früher ein immenser Klassen- und Standesunterschied getrennt hatte, die aber nun wie gleich und gleich über die Insel schlenderten. Und seltsamerweise seien sie einander wie aus dem Gesicht geschnitten gewesen, hatte Isaac gesagt. Sogar ihr Gang sei der gleiche gewesen. Und der

Weitere Kostenlose Bücher