Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzte Worte

Letzte Worte

Titel: Letzte Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
Vom Netzwerk:
war größer und fitter, und mit jedem Schritt verkleinerte er den Abstand zwischen sich und seinem Gegner.
    Brad schrie: » Polizei! Stehen bleiben! «
    Die Welt verlangsamte sich. Der Regen schien mitten in der Luft zu erstarren, winzige Tröpfen, die in Zeit und Raum gefangen waren.
    Der Verdächtige blieb stehen. Er drehte sich um und schwang drohend das Messer. Lena griff nach ihrer Waffe und spürte nur das leere Holster. Das feuchte Geräusch von Metall, das in Fleisch eindrang, war zu hören, und dann ein lautes Stöhnen. Brad stürzte zu Boden.
    » Nein « , keuchte Lena, rannte zu Brad und fiel auf die Knie. Das Messer steckte noch in seinem Bauch. Blut sickerte durch sein Hemd und färbte das Weiß leuchtend rot. » Brad… «
    » Es tut weh « , sagte er. » Es tut so weh. «
    Lena angelte nach ihrem Handy und hoffte, dass der Krankenwagen noch am See war und nicht bereits auf der halbstündigen Fahrt zurück zum Revier. Hinter sich hörte sie laute Schritte, Schuhe, die über den Asphalt stampften. Mit überraschender Geschwindigkeit und schreiend vor unkontrollierter Wut rannte Frank an ihr vorbei. Der Verdächtige drehte sich wieder, um zu sehen, was da Entfesseltes auf ihn zustürmte, doch in diesem Augenblick warf Frank ihn auch schon auf die Straße. Zähne splitterten. Knochen brachen. Franks Fäuste flogen, Windmühlen des Schmerzes, die auf den Verdächtigen eindroschen.
    Lena drückte sich das Handy ans Ohr. Sie hörte das Klingeln, auf das im Revier niemand reagierte.
    » Lena… « , flüsterte Brad. » Sag meiner Mom nicht, dass ich Mist gebaut habe. «
    » Das hast du nicht. « Mit der Hand schützte sie sein Gesicht vor dem Regen. Seine Lider flackerten, schlossen sich immer wieder. » Nein « , flehte sie, » bitte tu mir das nicht an. «
    » Tut mir leid, Lena. «
    » Nein « , schrie sie.
    Nicht schon wieder.

3 . Kapitel
    S ara betrachtete das Grant County nicht mehr als ihre Heimat. Es gehörte in eine andere Zeit, so greifbar für sie wie Manderley für Rebecca oder die Moore für Heathcliff. Während sie durch die Außenbezirke der Stadt fuhr, bemerkte sie, dass alles zwar noch genauso aussah wie früher und doch nicht ganz real wirkte. Die geschlossene Militärbasis fiel langsam wieder der Natur anheim. Die Trailerparks auf der falschen Seite der Eisenbahngleise. Das aufgegebene Einkaufszentrum, aus dem man ein Lagerhaus gemacht hatte.
    Dreieinhalb Jahre waren seit ihrem letzten Besuch hier vergangen, und sie hätte gern gesagt, dass ihr Leben jetzt okay wäre und sich wieder einer gewissen Normalität näherte. Tatsächlich aber war ihr gegenwärtiges Leben in Atlanta eher so, als wäre sie nach dem Medizinstudium gleich dort geblieben, anstatt ins Grant County zurückzukehren. Sie war die Leiterin der Kinderabteilung in der Notaufnahme das Grady Hospital, wo Studenten hinter ihr herrannten wie junge Hunde und das Sicherheitspersonal mehrere volle Magazine am Gürtel trug für den Fall, dass Gangmitglieder versuchten, den Job zu beenden, den sie auf der Straße angefangen hatten. Ein Epidemiologe, der für die Centers for Disease Control, das Seuchenkontrollzentrum, auf dem Campus der Emory arbeitete, war ein paarmal mit ihr ausgegangen. Sie ging zu Dinnerpartys und mit Freundinnen in Cafés. Gelegentlich fuhr sie an den Wochenenden in den Stone Mountain Park, damit die Windhunde dort ein wenig Auslauf bekamen. Sie las viel. Sie schaute mehr fern, als sie sollte. Sie lebte ein völlig normales, völlig langweiliges Leben.
    Und doch bekam ihre sorgfältig aufgebaute Fassade in dem Augenblick Risse, als sie das Schild sah, das ihr sagte, dass sie jetzt im Grant County war. Weil sie eine Beklemmung in der Brust spürte, fuhr sie an den Straßenrand. Die Hunde auf dem Rücksitz wurden unruhig. Sara zwang sich, ihren Gefühlen nicht nachzugeben. Sie hatte mit Zähnen und Klauen darum gekämpft, wieder aus der Depression herauszukommen, in die sie nach dem Tod ihres Mannes immer tiefer versunken war, und jetzt wollte sie nicht zulassen, dass sie n ur w egen eines dummen Straßenschilds wieder in sie zurückfiel.
    » Wasserstoff « , sagte sie. » Helium, Lithium, Beryllium. « Das war ein alter Trick aus ihrer Kindheit, die Reihenfolge der Elemente des Periodensystems aufzusagen, um sich von den Monstern abzulenken, die unter ihrem Bett lauern mochten. » Neon, Natron, Magnesium… « Sie zitierte aus dem Gedächtnis, bis ihr Herzschlag und ihre Atmung sich wieder

Weitere Kostenlose Bücher