Letzten Donnerstag habe ich die Welt gerettet
eine Kanne Tee über den Kopf gezogen hat, gibt es auch nur noch eine volle Kanne. Und wenn ihr von dem Tee trinkt, werdet ihr früher oder später den Ratten die Tür öffnen. Also habt ihr eigentlich gar nichts zu trinken.«
Wir saßen wieder in der Falle. Das ließ sich nicht leugnen. Wir waren so weit gekommen. Und jetzt war alles aus. Ich hätte heulen können. Aber mir kamen keine Tränen. Es war wohl auch nicht der beste Moment, um zu weinen. Vor Professor Kolossos wäre mir das auch zu peinlich gewesen.
»Ich frage mich nur«, murmelte der Professor, »warum der letzte Tee bei euch nur so kurz gewirkt hat. Außerdem habt ihr gerade etwas gegessen. Ihr dürftet euch eigentlich gar nicht so verhalten, wie ihr es tut.« Der Professor drehte sich ächzend auf die Seite und schaute uns verwundert an.
»Im Essen und im Tee war kein ›Kinderglück‹«, erzählte ich. »Wir haben das erste Fläschchen in der Küche ausgekippt und mit Wasser gefüllt.«
»Das erklärt einiges«, murmelte der Professor und sah erleichtert und verärgert zugleich aus.
Ich tauschte einen Blick mit Sandro und der Prinzessin. Was sollten wir tun? Die Zeit drängte. Auf den Bildschirmen sah ich, dass die Ratten und Lurche immer wütender wurden und begannen, sich gegen die Tür zu werfen.
»Wo sind eigentlich unsere Eltern?«, fragte Sandro.
»Das kann ich euch eigentlich jetzt sagen«, antwortete der Professor. »Als kleine Entschädigung für eure nutzlosen Mühen. Drück auf den Knopf oben ganz links, Kurt!«
Ich musste mich auf die Zehenspitzen stellen, um an den Knopf zu kommen. Er ließ sich etwas schwer hinunterdrücken und für einen Moment wurde das Bild auf allen Monitoren gestört. Da glaubte ich für den Bruchteil einer Sekunde im schwarz-weißen Nebel das riesige Lurchmonster zu sehen. Es schien mich von allen Bildschirmen herab anzugrinsen. Oder spielte mir meine Fantasie abermals einen Streich?
Die verschwundenen Eltern
»Habt ihr das gesehen?«, fragte ich.
Aber Sandro und die Prinzessin hörten mich gar nicht, sondern starrten mit offenen Mündern auf die Monitore, nachdem ich den Knopf ganz nach unten gedrückt hatte. Sie schienen das Monster nicht gesehen zu haben. Aber die Bilder, die nun erschienen, waren nicht weniger gruselig. Zuerst war da nur ein riesiger Vergnügungspark. Dass es kein normaler Vergnügungspark war, sahen wir erst auf den zweiten Blick. Es gab nämlich keine Karussells, dafür aber viele Restaurants, Bars und Cafés, Kinos und Showbühnen, Schwimmbecken und Fitnessstudios, Modeboutiquen, Sportwettbüros, Elektronikläden, Gartencenter und Baumärkte. Und überall Erwachsene. Sie bummelten herum und unterhielten sich. Sie saßen in Cafés in der Sonne oder aßen in den Restaurants. Sie guckten sich Shows an, lagen am Pool oder machten bei Schönheits- und Luftgitarrenwettbewerben mit. Sie alle hatten ein Lächeln im Gesicht. Aber ihre Augen lächelten nicht mit.
»Dort sind unsere Eltern die ganze Zeit?«, fragte die Prinzessin und ihre Stimme zitterte. »Warum gehen sie nicht wieder nach Hause?«
»Die Kanister mit der Aufschrift ›Elternglück‹!«, rief ich. »Sie hängen hier überall an den Trinkwasserleitungen. Es hat damit zu tun, nicht wahr?«
Der Professor nickte. »Es hat mich Jahre gekostet, um die richtige Mixtur herzustellen. Und dann noch einmal Jahre, um sie so zu verfeinern, dass sie bei den richtigen Eltern wirkt.«
»Bei den richtigen Eltern?«, fragte die Prinzessin und wir alle dachten an unsere Eltern. Und ich natürlich auch an Oma. Wieso waren sie die richtigen Eltern? Und was waren falsche Eltern?
»Na sicher. Um Babys, Kleinkinder und pubertierende Jugendliche sollte ich mich nicht kümmern. Darum durften nur diejenigen Eltern verschwinden, deren Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren alt waren.«
Auf den Bildschirmen sah man jetzt Frauen im Schönheitssalon. Sie ließen sich von Robotern massieren und frisieren, während andere ihnen Vitamin-Cocktails reichten. Die Frauen schienen nicht zu spüren, dass es metallene Finger waren, die sie anfassten. Und sie bemerkten auch nicht die Blechkörper hinter den Kellnerschürzen und die unbeweglichen, immer lächelnden Gesichter unter den Serviermützen.
»Aber warum machen Sie das alles?«, platzte ich heraus. Ich wollte endlich wissen, was das Ganze zu bedeuten hatte.
Der Professor guckte mich stumm an. Ich glaubte, ein unruhiges Leuchten in seinen Augen zu sehen. Doch dann erlosch es wieder und der Blick
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