Letzten Donnerstag habe ich die Welt gerettet
ich weiter schwieg. Was sollte denn jetzt diese Frage? Was hatte das mit dem Ganzen zu tun?
»Einen Meter neunundzwanzig«, antwortete ich trotzig.
»Ich vermute mal, du bist der Kleinste in deiner Klasse, nicht wahr?«
Natürlich bin ich der Kleinste in meiner Klasse. Welcher zehnjährige Junge ist denn sonst nur einen Meter neunundzwanzig groß?
»Sie sind auch nicht viel größer als ich«, antwortete ich. »Sie möchten aber gerne groß sein, nicht wahr?«, fragte Sandro. Die Prinzessin sortierte nun nicht mehr nach Größe, sondern nach Farben.
»Könntest du endlich mit der Sortiererei aufhören, Tilda. Das macht mich ganz nervös«, schimpfte der Professor. Er hatte offensichtlich keine guten Nerven, denn mir machte es überhaupt gar nichts aus, dass die Prinzessin aufräumte.
»Wer will nicht endlich groß sein, wenn er immer übersehen oder belächelt wird. Als ich noch ein Junge war, ließen mich die anderen Kinder nicht mitspielen und später nahmen mich die Erwachsenen nicht ernst«, sagte er schließlich.
»Und darum sind Sie Professor geworden, nannten sich Kolossos und wollten es allen zeigen«, stellte Sandro fest.
»Das ist total kindisch!«, rief ich. »Echt peinlich!« Ich war so wütend. Der Professor hatte das Leben von hunderten Familien durcheinandergebracht, weil er ein bisschen Aufmerksamkeit wollte. Das konnte doch nicht wahr sein! Und ich sollte das verstehen können, nur weil auch ich klein war. Aber der Professor beachtete mich nicht und erzählte einfach weiter.
»Meine Eltern hatten schon nach wenigen Monaten vergessen, dass es mich gab. Sie waren sehr reiche Leute und beschäftigten sich mit Dingen, mit denen sich reiche Leute eben beschäftigen. Mit Golfspielen, Reisen, Kunstausstellungen, Galadiners. Aber nicht mit mir. Ich war sehr klein und unscheinbar. Das passte nicht in ihr glamouröses Leben. Am Anfang war das nicht so schlimm, weil sich ein Butler und meine Großmutter um mich kümmerten …«
»Meine Oma kümmert sich bei uns zuhause auch um alles«, unterbrach ich ihn, »weil mein Papa den ganzen Tag am Computer arbeiten muss und meine Mama überall auf der Welt nach untergegangenen Kulturen sucht. Deshalb werde ich aber doch nicht verrückt!«
Er schaute mich verwirrt an und schien nicht mehr zu wissen, was er eben noch sage wollte.
»Kurt, wenn wir alles erfahren wollen, dann sollten wir dem Professor auch zuhören, meinst du nicht?«, sagte Sandro mit seiner beruhigenden Stimme. »Erzählen Sie bitte weiter, Professor Kolossos.«
»Doch meine Großmutter starb eines Tages und der alte Butler hatte genug zu tun, die Wünsche meiner Mutter zu erfüllen. Ich war auf mich alleine gestellt«, fuhr der Professor eintönig fort. »Es gab im Esszimmer nicht einmal einen Stuhl, der hoch genug war, dass ich an den Tisch heranreichte. So musste ich immer unter dem Tisch essen.«
»Sie hätten doch auch in der Küche essen können«, unterbrach ich ihn erneut.
Sandro schaute mich warnend an und ich biss mir auf die Lippen. Der Professor verlor seinen Blick wieder und starrte schweigend an die Decke.
»In der Schule erging es mir nicht anders«, erzählte er nach einer ganzen Weile weiter. »Jeden Tag bekam ich einen Strich für unentschuldigtes Fehlen ins Klassenbuch eingetragen, weil der Lehrer mich nicht sah. In den Geschäften wurde ich nicht bedient und der Busfahrer schloss die Tür vor meiner Nase, weil er dachte, es seien schon alle eingestiegen.«
»Warum holte Sie denn niemand mit dem Auto ab? Wenn Ihre Eltern reich waren, hatten sie doch sicher auch einen Chauffeur?«, fragte nun auch Sandro.
»Weil sie ihn vergessen hatten«, murmelte die Prinzessin.
Professor Kolossos schien auch sie nicht zu hören. Er war in seiner Welt aus traurigen Erinnerungen versunken. »Einmal stellte im Bus sogar eine dicke Frau ihre Taschen auf mich, weil sie dachte, der Stuhl neben ihr sei frei. Irgendwann zogen meine Eltern nach Cabo San Lucas und vergaßen, mich mitzunehmen. Da beschloss ich, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen, ein berühmter und wichtiger Mann zu werden und der Welt die Schmach zurückzuzahlen, die ich erleiden musste.«
»Wo ist denn Cabo San Lucas?«, fragte die Prinzessin.
»Auf der Halbinsel Niederkalifornien, in Mexiko«, flüsterte ich, während der Professor einfach weitersprach. Er lag da auf dem Sofa, klein und kümmerlich, mit gefesselten Händen, starrte vor sich hin und erzählte und erzählte, mit dieser seltsam hohen immer
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