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Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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Schnauzen des anderen: „Wir werden alles sorgfältig überprüfen! Irgendwann werden wir Sie vorladen, um ihre Aussagen zu Protokoll zu nehmen. Bis dahin...“ – er hebt mit zwei Fingern ihr Kinn an – „...bis dann sagst du zu niemandem ein Sterbenswörtchen, hörst du, solange das Verfahren schwebt... Und hast dich unter allen Umständen zu unserer Verfügung zu halten und für uns jederzeit erreichbar, kapiert?“ Als Michaela gehorsam nickt, erschrocken bleich und wie erstarrt dasitzend, setzt der Stämmige nach: „Du weeßt jetzt, det dein feina Untermieta unter Mordverdacht steht un ooch sonst allahand uff dem Kerbholz hat. Wa ham ihn seit jestern Abend in U-Haft, dette Bescheid weeßt, Kleene!“ Daraufhin nickt der Hagere knapp und winkt seinem Kollegen zu folgen.
    Als die Staatssicherheit Michaelas Küche verlassen hat, sinkt die geschockte Frau wieder auf einen Stuhl und hockt lange Zeit apathisch da, keines klaren Gedankens mehr fähig.     
     
    Höheren Orts verursachte allein die Tatsache beträchtliche Bauchschmerzen, dass die genaue Örtlichkeit der Frevelei zum ersten Mal so präzise und unumwunden beim Namen genannt wurde, sodass sich die Anwohner des Vandalitzer Sees wegen der ehrenrührigen Behauptungen in der Westpresse an die Partei wandten. Diese wiederum wandte sich an die Justiz, die von dem Minister Abendrot gepflegt wurde. Der Nörgelfritze in Person hatte mit der Genossin Wagner-Gewecke eines gemeinsam: das Eintrittsdatum im Parteibuch, das weniger einer gefestigten Überzeugung, als vielmehr einer zu erwartenden Karrieremöglichkeit nach verlorenem Weltkrieg im neuen, demokratisch etikettierten Staatswesen zu verdanken war. Der Genosse Abendrot war nicht gerade besonders erbaut davon, mit seiner Parteigenossin über eine solch peinliche Angelegenheit sprechen zu müssen, die noch dazu in einen ekelhaften Sexualmord hineinspielte.
    „Nein liebes Fritzjen“, begann er daher mit deutlichem Missmut, indem er sein Ulbrichtbärtchen zerzauste und betreten an seinem Gebiss saugte, das seit längerer Zeit wegen fortschreitender Atrophie des Zahnfleisches nicht mehr so recht sitzen wollte, „offengestanden begreife ich euch nicht; was ihr da treibt ist wirklich eine Sauerei...“
    „Ich muss doch sehr bitten, Hippolyt ... werter Genosse...“, stammelte Friedrike.
    „Schon gut, schon gut!“ Der Greis winkte ab. „Du musst dich nicht echauffieren, Fritzjen, aber wir wollen doch unter Genossen das Kind beim richtigen Namen nennen, ja? Und diese aggressive Veröffentlichung hat uns gerade noch gefehlt!“
„Aber, haben wir etwa die Meldungen verbreitet?“ entrüstete
    sich die Genossin. „Die Westpresse ist dafür verantwortlich!“
    Der Alte hatte sich erhoben, das Zimmer gemächlich durchmessen, um am Fenster mit dem Rücken zu seiner Parteigenossin stehenzubleiben, was bei seiner sonstigen chevaleresken Art immerhin ungewöhnlich anmutete und den Grad seiner Erregung ermessen ließ.
    Friederike saß aufrecht in einem schweren Ledersessel, ihr breiter Mund war zusammengekniffen, als wolle sie sich gewaltsam zum Schweigen zwingen, um den Genossen nicht noch weiter aufzubringen. Sie kannte ihn sehr genau, wusste, dass nun die übliche Standpauke aus ihm herausplatzen würde, die sie stillschweigend über sich ergehen lassen musste. Wenn er sich seinen Unwillen erst einmal von der Leber geredet hätte, könnte sie mit Gewissheit auf seine Hilfe zählen.
    Dass er dieses Mal wider Erwarten einen Ton anschlug, der sich in seinem hintergründigen Ernst von seinen sonstigen cholerischen Auftritten wesentlich unterschied, musste sie eigentlich in Alarmstimmung versetzen. Er stand am Fenster, die Hände hinter dem Rücken verschränkt wie ein Bischof, der seine Schäfchen abzukanzeln trachtete, starrte hinüber zum Palast der Republik und dachte daran, dass es in der Volkskammer Kräfte gab, die auf Dauer nicht mehr zum Stillhalten veranlasst werden könnten.
    „Es scheinen sich etliche Kräfte in der oberen Parteihierarchie über den Ernst der politischen Lage noch nicht so recht im Klaren zu sein“, hob er an, und sein Ton klang verdrossen. „Muss ich über die Vorgänge in Leipzig ein Wort verlieren? Ich habe kürzlich erst anlässlich einer Sondersitzung des ZK beim ND zu tun gehabt und mich bei der Gelegenheit nach der tatsächlichen Lage erkundigt und gefragt, was man sich für das Ende dieses Planjahrfünfts für Ziele gesetzt hätte. Was glaubst du wohl, was man mir für eine

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