Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)
wiederholt Ärger eingehandelt. Die Zuweisungen der Wohnraumlenkung hatte sie abwehren können; deren Kandidaten erschienen ihr zu heikel. Auf eigene Faust hatte sie sich – um unnötigen Spekulationen aus dem Wege zu gehen – nicht einen, sondern gleich zwei kubanische Werkstudenten einquartiert, die im Wochenwechsel tagsüber zur Fabrik gingen und nachts studierten oder am Tag die Universität besuchten und die Nachtschicht im nahegelegenen Chemiekombinat verlebten. Das Pulver hatten sie nicht erfunden, noch weniger die Arbeit, sondern erwiesen sich vielmehr als noch unsicherere Kantonisten als die, die von der Wohnraumlenkung zu erwarten gewesen wären. Denn sie waren über die Maßen in das deutsche Bier und die molligen Mädchen verliebt, hatten die gesamte Einrichtung ruiniert und verdreckt und sogar ihre Quartierwirtin bestohlen. Verschiedene Lauferei zur Wohnraumlenkung – mit Peinlichkeiten verbunden – war nötig geworden, bis die beiden dunkelhäutigen Subjekte endlich exmittiert und in einem Wohnheim untergebracht werden konnten.
Die Leute von der Wohnraumlenkung hatten gefeixt und zugesagt, ihr bald korrekte Mieter zuzuweisen. Der Wohnbezirksausschuss hatte sie plötzlich und so ganz nebenbei zur Hausobfrau ernannt mit der Pflicht zur Führung des Hausbuches. Sie hatte sich zwar nicht – wie bei ihrem verordneten Einsatz in der Hausfrauenbrigade – geweigert, aber darauf bestanden, in die ungewohnte und lästige Funktion eingewiesen zu werden. Seither waren ein paar Wochen vergangen, ohne dass sich jemand bei ihr gemeldet hätte. Die junge Frau hatte die blöde Hausbuchführung längst vergessen und sich bereits an den Gedanken gewöhnt, das Zimmer nicht mehr vermieten zu müssen, war also von Ingrids Bescheid unangenehm überrascht. Sie fasste sich jedoch geschwind wieder und bedankte sich freundlich: „Schon gut, Ingrid. Ich muss gleich in der Waschküche die Wäsche schleudern; sei so nett, und gib mir Bescheid, wenn ich dabei das Läuten nicht hören sollte.“
Michaela zog sich in der Küche geschwind um und schlüpfte, weil der Herbst für die Jahreszeit zu warm und schwül war, nur in das dünne Baumwollkleid, band sich eine Schürze um und hängte das schöne dunkelrote Kleid von der Beerdigung in den Schrank. Vor dem Spiegel steckte sie sich die Haare hoch, schlang ein Kopftuch drum herum – der Schopf schaute keck daraus hervor – und begab sich in die Waschküche, um die Elektrogeräte zu bedienen. Dabei musste sie an die kurze Zeitspanne denken, in der sie und ihr Mann das dritte Zimmer als Wohnstube benutzt hatten, ehe er von heute auf morgen ausgezogen war. Tief seufzte sie in Erinnerung daran, wie wenig sie von ihrer Ehe gehabt hatte. Im Frühjahr vor drei Jahren, als ihre Mutter gestorben und sie auf sich allein angewiesen war, hatte sie beim Kauf eines Fahrkartenheftes auf dem Alex ihren Jürgen kennengelernt, der dort als Verkäufer in einem Menüladen beschäftigt war; im Frühsommer hatten sie sich trauen lassen.
Von Anfang an hatte er in oppositionellen Gruppen gearbeitet und war kaum daheim gewesen. Sie hatte ihn gewähren lassen, auch weil er hauptsächlich in Kirchenkreisen verkehrte, und seit drei Monaten hatte er sich nun ganze zweimal sehen lassen zu Hause. Sie empfand unvermittelt eine peinigende Sehnsucht nach ihm, so dass ihr die Tränen von den Wangen in die geöffnete Wäschetrommel rannen. Sie nahm sich zusammen und musste gequält lächeln bei dem Gedanken, dass sie normalerweise bei all der vielen Arbeit kaum zum Grübeln kam.
Es musste so gegen fünf Uhr gewesen sein, als die Wäscheschleuder endlich zum Stillstand gekommen war und sie den schweren Korb voll nasser Wäsche auf den Hof schleppte und anfing, zunächst die großen Stücke aufzuhängen. Mitten in diese Verrichtung platzte eine Männerstimme, und gleich darauf hörte sie Willi sagen: „Ja, sie ist draußen im Hof und hängt gerade Wäsche auf. Soll ich...“ Und Michaela vernahm einen virilen Bass: „Nee, nee, danke viel.“
Die junge Frau vernahm die näherkommenden Schritte des Besuchers, der jetzt auf den Hof hinaustrat. „Habe ich das Vergnügen mit Frau Schumann, bitte sehr?“ fragte er mit einem Akzent, der seine osteuropäische Herkunft nicht verleugnen konnte.
Michaela beeilte sich mit dem Aufhängen und erwiderte über ihre Schulter hinweg: „Einen Moment, ja. Ich will rasch nur noch das Betttuch aufstecken.“ Dabei wurde sie das unerquickliche Gefühl nicht los, dass der Fremde
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