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Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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ein.
    Johannes faltete das Papier sorgfältig zusammen, starrte minutenlang düster in den grauen Himmel, und sein Freund Täve kam ihm in den Sinn.
    Melancholische Gedanken waren Gustav fremd. Er wusste nichts von den Überlegungen anderer, die es zum Beispiel für einen rechten Jammer hielten, wie unbegabt er sich in Mathematik zeigte. Er hatte zu diesem trockenen Fach so gut wie keine Beziehung, und zu allem Überfluss mangelte es ihm leider auch an der Einsicht in die Gewichtigkeit dieser Wissenschaft für das spätere Leben. Er hielt sich da ganz an Brecht, der gerade soviel Rechenkunst für den Menschen als notwendig erachtet hatte, um nicht beim Brot- und Äpfelkauf übers Ohr gehauen zu werden. Vor allem hatte sich in Täve eine tiefverwurzelte Abneigung gegen alle „nützlichen“ Berufe festgesetzt, besonders gegen solche, die in Amtsstuben, Büroräumen und dergleichen vorgingen. Und jeder Tag, den er sich noch gezwungen sah, die verhasste Schulbank zu drücken, dünkte ihn verlorene Zeit.
    Wie andere Kinder auch hatte er sich als Dreikäsehoch gern verkleidet, aber darüber hinaus noch mit Vorliebe, gekonnten Gesten und verstellter Stimme das Gebaren der Erwachsenenwelt imitiert, später dann mit seinem Vater Kasperletheater gespielt. Dass in ihm ein Schauspielertalent schlummerte, wurde ihm erst viele Jahre später bewusst, als er Filmaufführungen im Kino und Fernsehen erlebte, deren Hauptdarsteller in ihm den Wunsch erweckten, Filmschauspieler zu werden.
    An seinem elften Geburtstag gestattete sein Vater ihm, in der Nachbarwohnung den Monumentalfilm Lawrence von Arabien anzuschauen, hauptsächlich wohl, weil sein Erzeuger sich selbst für das Epos interessierte und seine bessere Hälfte ihm in den eigenen vier Wänden das Einschalten eines Westkanals nicht erlaubte. Den Geburtstagswunsch ihres vielversprechenden Sprösslings auszuschlagen, hatte sie jedoch nicht übers Herz gebracht. Vater hatte sich gleich als politischer Anstandswauwau angeboten. Wenn er geahnt hätte, in welch ungeheure Verzückung allein Peter O´Toole in der Titelrolle seinen Filius versetzen würde, wäre ihm der Verzicht auf Westfernsehen sicher leichtgefallen, nicht zu reden von den Auswirkungen, die dieses erste große Filmerlebnis auf Gustav haben sollte. Das zweite cineastische Abenteuer war der Film Dr. Schiwago : Er schlüpfte vorstellungshalber in die Titelrolle und nahm sich vor, selbst männlicher und heldenmütiger zu handeln, sich niemals in Gefangenschaft halten zu lassen und die Frau zu erobern, die er von Herzen lieb gewinnen würde. Die eingängige Filmmusik überwältigte ihn vollends, zu keiner Zeit ging ihm der Ohrwurm aus dem Gedächtnis. So erzeugte schon allein das Abspielen von Schlagermusik im Lichtspielhaus eine so erregende Atmosphäre, dass Gustav in der Folgezeit unter Dreingabe seines mühsam ersparten Taschengeldes und nach stundenlangem Anstehen für die Einlasskarte am frühen Nachmittag stets lange vor Beginn der Aufführung in der ersten Reihe des Zuschauerraums aufkreuzte, um ja nicht Gefahr zu laufen, auch nur einen Takt seiner geliebten Schlagermusik zu versäumen.  
    Das nachhaltigste Erlebnis aber vermittelten noch zu Lebzeiten des Vaters die ersten Dreharbeiten des Herrn Carl Magnus Dünnleder in den leerstehenden Hallen einer vormaligen Uhrwerkfabrik in Pankow, einem Vorort im Norden Berlins. Hier konnte Täve als zufälliger Zaungast die Entstehung von Es genügt nicht, volljährig zu sein miterleben.  
    Zu einem Besuch der berühmten DEFA-Studios, den ihm Papa mit Unterstützung der stolzen Mama versprochen hatte, war es leider nicht mehr gekommen. So sollte dem Kinofan noch lange Zeit diese kleine Filmemachertruppe der Maßstab für die hehre Schauspielkunst bleiben.
    Entrückten ihn die Vorführungen des Lawrence von Arabien und des Dr. Schiwago in märchenhafte, unerreichbare Fernen – ausnehmend schön in der Erinnerung als rauschende Feste der Bilder, zauberhaft wie Tausendundeine Nacht und sehnsuchtsvoll wie die unendliche Taiga, eingetaucht in exotische Farben und Töne, gleißende Helle und düstere Abgründe schicksalhafter Fügungen –, so nahm ihn hier bei Carl Magnus Dünnleder etwas ganz anderes gefangen: Hier stand er dicht bei der Kamera, die auf Schienen hin und her gefahren wurde, sah die Perücken und die Schminke in den Gesichtern der Akteure, ihre Masken und Kostüme im Original und aus nächster Nähe und konnte neben Rouge und Puder auch Leim und Farbe der

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