Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)
weiß nicht, ob Du es begreifst, Patsy, aber ich zählte doch gerade erst fünfzehn Jahre, träumte von der Schönheit und Lauterkeit der Menschen und von den Beziehungen zwischen den Geschlechtern, über die ich mir bis dahin nicht allzu viel Gedanken gemacht hatte. Was ich so am Rand bei den Feten des Alten beobachtete – das Wort „Vater“ will mir weder über die Lippen noch aus der Feder –‚ hatte mir nichts anhaben können bis zu dieser Candlelightparty nach dem Pressefest.
Alle Einzelheiten niederzuschreiben, sträubt sich mein Innerstes. Es will mir kaum gelingen, so schäme ich mich vor mir selbst.
Erst einmal dinierten sie drüben unter den Klängen von Richard Cleydermans Piano. Mir hatte man einen Teller Sandwiches aufs Zimmer mitgegeben und eine Karaffe Grapefruitsaft. Vo thi Lien brachte es mir, und als sie das Tablett hingestellt hatte, blieb sie noch einen Moment stehen, stemmte die Arme in die schmalen Hüften, um mir sekundenlang ganz sonderbar in die Augen zu sehen. Dabei lächelte sie und sagte in einem Ton, gemischt aus Neckerei und Mitleid: „Na, denn viel Velgnügen, jungel Maann!“ Und ohne den Blick von mir zu wenden, ging sie wieder zur Tür und nickte zum Abschied kurz, bevor sie mich verließ.
Der Lärm der Gäste drang an mein Ohr, wie sie lachten und kreischten. Ab und zu tauchte ein Paar auf der Terrasse auf, um geschwind – eng umschlungen – in den Büschen zu verschwinden. Der Garten war in dieser lauen Sommernacht mit Lampions illuminiert, die an Leinen zwischen den Bäumen hingen. Alles mutete sehr stimmungsvoll an. Wäre nur auch die Szene, die von Kerzenlicht beleuchtet wurde, erquicklicher geraten.
Krakeelend drängte schließlich alles ins Freie, von irgendwo erschallte Musik, zu der auf der Terrasse getanzt wurde, leidenschaftlich, hemmungslos..., bevor man in den Garten lief und eine wilde Hetzjagd veranstaltete. Ich musste mit ansehen, wie die Männer höhensonnengebräunte einheimische Weiber und kaffeefarbene Exotinnen aus der Karibik verfolgten, ihnen die Kleider vom Leibe rissen, sie hinwarfen, sich selbst ihrer Hosen entledigend... Alles wälzte sich auf dem Rasen unter Kreischen und Gelächter. Der Alte – ich sah ihn, wie er Carmen Denikin unter einen Baum schleppte, ich konnte sie an den roten Haaren erkennen, die im flackernden Kerzenschein feurig glitzerten. Alles paarte sich, schamlos, ungeniert, enthemmt, giererfüllt, und schaute begehrlich einander zu dabei... Es war so unsäglich abstoßend, widerwärtig und ekelerregend. Ich war völlig verstört und musste dennoch hinsehen, vermochte meinen Blick nicht zu lösen, stand gebannt wie unter einem geheimen Zwang.
Morgens hatte ich verschlafen, musste zur Schule, und es waren nur noch wenige Minuten Zeit. Ich stürzte ins Bad, wo Vo thi Lien unter der Dusche stand. Sie schrie auf, ihre Blöße mit den Händen bedeckend, und schimpfte in grotesk wirkendem, ordinärem Hauptstadtslang mit asiatischem Akzent, als die Tür aufgerissen wurde und der Alte darin stand im Pyjama, übernächtig, zerzaust, verheert.
Er riss mich herum, um mir links und rechts Ohrfeigen zu verpassen, mit Handrücken oder flacher Hand, wie es gerade kam; ich glaube, er nahm die Gelegenheit wahr, seinen ganzen Hass an mir auszulassen.
Das schlitzäugige Mädchen, mit dem er offensichtlich gehurt, kreischte auf: „Nicht doch, nein, nein, so lass ihn doch geh´n, ich kann nicht mit angucken!“
Warum ich das alles aufnotiere, ist mir nicht ganz klar, aber von der Seele musste es nun mal herunter. Ich habe ja niemanden außer Dir; und Du bist in weiter Ferne. Verstehst Du, keine Menschenseele ist da, ihr mein Herz auszuschütten?
Was mir noch einfällt, ist, dass ich damals dann stundenlang im Pionierpark Wuhlheide herumgetigert bin, ziellos, um schließlich vor Erschöpfung ins Gras zu sinken... Als ich abends nach Hause kam, traf ich auf den alten Theobald und die gute Sonja, die mich mit ihren großen wässrigen Augen anblickte und mir zärtlich die Wange tätschelte. Aus lauter Mitleid, das ich freilich in dieser Lage am allerwenigsten vertragen konnte. So bin ich kopflos in mein Zimmer gerannt und habe mich eingeschlossen. Ich wollte keinen Menschen mehr sehen, nicht einmal mehr die beiden guten Alten. Ich lag auf dem Rücken und musste daran denken, wie gut es manch andere doch haben – wie meine Freunde Willi und Täve. Endlich habe ich nur noch die Decke anstarren können, wusste ich doch nicht mehr aus noch
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