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Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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Kulissen riechen.  
    Was aber war mit jenen Filmen im Westprogramm? Nie dürfte er zu träumen wagen, jemals unter solchen Halbgöttern in seidenen Kaftanen oder flauschigen Pelzen zu weilen. Bei Carl Magnus Dünnleder hingegen schien alles mit Händen greifbar, überschaubar und irgendwann für ihn selbst erreichbar. Von hier stammte auch der Trieb zum künstlerischen Agieren und besonders zur Verwandlung in immer neue Gestalten, dem er unrettbar verfiel.
    An diesem Ferientag war es Kerstin, die als wahre Götterbotin die freudige Nachricht überbrachte: „Stell dir mal vor, Täve, uffm Berch ist der Dünnleder mit seiner Truppe wieder da! Wie ich bei Tante Claudia war, haben sie gerade die Scheinwerfer abgeladen.“
    Das traf ihn wie ein Keulenschlag, und am liebsten wäre er sogleich hingefahren. Doch Kerstin sah ihm sein Vorhaben an und mahnte zur Vorsicht: „Lass das vorläufig ja nicht Mama wissen! Du weißt, dass sie dich nicht hinfahren lassen wird.“
    Er wusste es nur zu genau. Seine Frau Mutter hatte schon immer seine Kinobesessenheit stark gebremst; aber da steckten die Tanten dahinter. Das bewirkten die alten Vorurteile gegen das „leichtlebige Künstlervölkchen“, wie Tante Karin einmal bemerkt hatte.
    Wicki hatte ja so recht. Mama durfte nichts ahnen davon, gerade jetzt nicht; so kurz nach Papas Tod hätte sie es auch kaum begreifen können, dass er auch nur den kleinsten Gedanken daran verschwendete, zu den Kulissenreißern zu gehen. Dennoch legte sich ein Hoffnungsschimmer über seine Züge. Ob er sich hinter Johannes stecken sollte? Der junge La Bruyère könnte ihm bei Mama spielend leicht ein Alibi für einen Nachmittag verschaffen. Aber sogleich verfinsterte sich seine Miene wieder, da er an die letzten Zeugnisnoten denken musste. Zwar hatte ihm Johannes, ihr Klassenprimus, auf Vermittlung von Direktor Clausnitz Mathematiknachhilfe erteilt, aber gegen Gustavs Unbegabtheit in diesem Fach konnte auch er nicht an. Es hatte gerade noch zu einem „Ausreichend“ gelangt, aber Herr Oberlehrer Eichhorst hatte ihm in Staatsbürgerkunde eine „Fünf“ verpasst, was ihm also beinahe endgültig das Genick gebrochen hätte. Im neuen Schuljahr jetzt hatte seine Mutter dem Unverbesserlichen die Nachhilfestunden erspart, soll heißen: untersagt, da sie nur dazu taugten, sich in größere Schuld bei fremden Leuten zu stürzen. Die Ausrede mit Nachhilfestunden bei Huschke zog also nicht mehr.
    Mitten in diese düsteren Gedanken mischte sich eine fieberhafte Überlegung, die seine Miene jäh wieder aufhellte. Wenn er von Eichhorst sowieso wieder eine „Fünf“ erhielt und eine Versetzung zum Schuljahresende so gut wie ausgeschlossen war, könnte er doch gleich von der Schule abgehen. Den Oberschulabschluss hätte er und könnte sofort bei Arminius Müller-Eisner mit dem Schauspielunterricht anfangen. Da steck´ ich mich hinter Onkel Heinrich, dachte Gustav, der Mama schon überreden wird, wenn es sein muss gegen den Widerstand der ganzen Verwandtschaft, vor allem aber den der drei alten Schachteln, für die es selbstverständlich war, dass ein Sohn aus ihren Kreisen das Abitur machte.
    Solcherart Überlegungen gediehen in Gustavs Hirn so prächtig, dass er bald inständig hoffte – gegen aufkeimende Vernunft im Grunde seines Herzens –, Eichhorst möge ihm den Gefallen tun und ihn nunmehr im neuen Schuljahr mit Pauken und Trompeten durchfallen lassen.
    Indes, es sollte anders kommen.
    Nachdem die Sommerferien wie im Flug vorbeigegangen waren und der Unterricht an einem strahlenden Montagmorgen wieder begonnen hatte, folgte einer neuerlichen „Fünf“ in Mathematik bald die unerhörte Ankündigung von Oberlehrer Eichhorst, dass „der Schüler Gustav Patzke sicher nicht über ein `Ausreichend´ hinauskommt, da er in Staatsbürgerkunde quasi auf dem Töpfchen sitzt.“ Täve verschlug es die Sprache. Da er in allen anderen Fächern, besonders in Geographie, Russisch, sogar Deutsch, sehr gute Zensuren zu erwarten hatte, schien es Essig mit dem Klebenbleiben. Zu Hause führte seine Mutter einen Freudentanz auf ob dieser Nachricht, sie küsste ihn – natürlich tränenüberströmt – ab, wobei sie, die von zierlicher Gestalt war, mit ihrer rauchig-tiefen Stimme stammelte: „Liebster Täve, mein Junge, mein Bester! Du wirst es schon schaffen!“ Gustav schien ein solcher Siegestaumel zu diesem Zeitpunkt und anlässlich seiner mehr als mittelmäßigen Leistung ziemlich übertrieben, aber die gute Mama

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