Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)
wollte nicht aufhören zu schluchzen und fügte tränenselig hinzu: „Ewig schade, dass dein guter Vater das nicht mehr erleben durfte!“
Diese anrührende Szene wurde gottlob und zu Gustavs Erleichterung durch ein Klingeln an der Wohnungstür unterbrochen. Seine Schwester rannte los, um nachzuschauen. Eine weibliche Stimme war zu vernehmen, und alsbald meldete Kerstin: „Frau Schumann ist da und will die Wäsche holen“, drehte sich um, zog ein Schnütchen, weil sie sich wieder ärgerte, dass ihre Mutter mit ihrer Affenliebe den Bruder immer so verhätschelte, und fügte säuerlich hinzu: „Es pressiert allerdings!“
Es eilte überhaupt nicht. Die Hausgemeinschaft in der Kruggasse hatte sich auf eine Waschmaschine, deren Schleuderstufe vor zwei Jahren ausgefallen war, und daher dann noch auf eine elektrische Schleudertrommel geeinigt, und es war zu der stillschweigenden Vereinbarung gekommen, dass Michaela Schumann auch die Wäsche der Mitmieter gratis mitversorgte, um dafür gegen Entgelt auch die Wäsche fremder Leute in Arbeit nehmen zu dürfen. Gustav gehörte so gut wie zur Hausgemeinschaft in der Kruggassensiedlung. Michaela kam also routinemäßig einmal die Woche um die Ecke. Trotzdem sagte Mutter Patzke: „Ist ja gut, ich komme doch schon“, wischte sich über die Augen und folgte ihrer Tochter auf den Flur.
Kaum hatte Gustav in zwiespältigen Gefühlen sein Zimmer aufgesucht und war ans Fenster getreten, als Kerstin den Kopf bei der Tür hereinsteckte und schnippisch rief: „Tävchen, der Korb ist heute so schwer. Mamma fragt, ob du Frau Schumann nicht tragen helfen möchtest.“
Er fuhr zusammen, um sogleich nervös hervorzustoßen: „Ja, natürlich, bin schon unterwegs.“ Im Nu waren alle seine Grübeleien durch den Gedanken an die junge Frau draußen vor der Tür weggewischt.
Wie er Michaela Schumann die Hand gab, fühlte er die seine feucht werden vor Erregtheit. Und sein Blut geriet in Wallung, als er mehr stammelte als sagte: „Aber Ihnen helfe ich doch gern, das wissen Sie doch!“
Die enge Treppe ließ sie den Korb nicht nebeneinander hinuntertragen, weshalb die Frau drei Stufen tiefer ging. Sie schleppten die Last in Schräglage ins Erdgeschoss, und während sie – vorsichtig tastend – die stark ausgetretenen schmalen Stufen in gleichem Rhythmus abwärts stiegen, konnte Gustav es an jedem Absatz nicht verhindern, dass seine Blicke die geschmeidige Gestalt der jungen Frau von Kopf bis Fuß musterten und immer wieder an ihrem Busen haften blieben, der beim Hochstemmen des Wäschekorbs von fadenscheinigem Baumwollstoff umstrafft wurde.
Wieder spürte er in ihrer Gegenwart eine aufkeimende Verwirrung, und dieses Mal mischte sich eine nicht zu unterdrückende körperliche Erregung dazu. Kaum konnte er ihrer Herr werden, ihm wurde abwechselnd heiß und kalt, seine Wangen glühten, er fror und schwitzte gleichzeitig. Jäh zuckte er zusammen, als Michaela ihn unvermittelt mit weicher, einschmeichelnder Stimme fragte: „Na, junger Mann, geht es? Sonst stellen wir lieber mal ab!“
Einerseits hoffte Gustav, sie möchte seine Gesichtsröte der Anstrengung des Tragens zuschreiben, andererseits fühlte er seine Eitelkeit verletzt, so dass er sich sogleich besann, mit einem etwas gezwungen klingenden Auflachen zu erwidern: „Ach, kommen Sie, das bisschen Zeug, das geht schon...“‚ und ärgerte sich im selben Moment über seinen prahlerischen Ton, als er schon die Antwort der Frau entgegennehmen musste: „Es wird schon gehen, sagte der Draufgänger und ging drauf.“
„Haha“, machte der Jungmann.
Es hatte der volle Korb aber schon sein Gewicht, was sie, unten angelangt, bemerkten, als sie sich beide mit dem Ärmel übers Gesicht fahren mussten. „So, dann wollen wir aber erst mal verschnaufen“, sagte Michaela versöhnlich.
Gustav mochte ihre braunen Rehaugen und ihren sinnlichen Mund mit den vollen Lippen, die er nie anschauen konnte ohne zeitgleiches heftiges Verlangen, sie zu küssen. Die junge Frau freilich machte sich ein diebisches Vergnügen daraus, ein wenig Katz und Maus mit ihm zu spielen und ihn ein bisschen kopfscheu zu machen, um dann ganz plötzlich durch ihren sachlich-burschikosen Tonfall, der auf Gustav wie eine kalte Dusche wirkte, diesem frivolen Spiel ein unversehenes Ende zu bereiten.
Stumm gingen sie die wenigen Schritte um die Ecke zu Michaelas Wohnung. „Setzen Sie sich doch einen Moment!“ lud sie ihn in der Küche ein, „damit Sie mir den Schlaf
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