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Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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und biss sich auf den Finger.
    „Seit letzter Woche besteht die Weisung, die Stückzahlen um fünfzehn Prozent zu erhöhen. Da sind sie in die einsturzgefährdete Halle gegangen...“
    Michaela verhielt den Atem, blieb regungslos stehen und blickte betroffen drein.
    „Der junge Wegmann, einer von uns, ist mit dem Brigadeführer aneinandergeraten, ziemlich hart sogar. Der hat ihn runtergemacht, weil er seine Gruppe vorzeitig in die Mittagspause geschickt hat. Schuld war wie immer Materialmangel, was der Brigadier nicht als ausreichenden Grund zur Arbeitsunterbrechung gelten lassen wollte. Es soll ordentlich zur Sache gegangen sein, der Junge hat kein Blatt vor den Mund genommen und die Gelegenheit wahrgenommen, gleich mal richtig auszupacken, dass die Arbeitshetzerei unverantwortlich wie töricht sei, wenn es gar keine Arbeit gäbe. Zeit und Material für Reparaturen, die seit Jahrzehnten fällig seien, fehlten, und von Arbeitsschutz könnte ebenso wenig die Rede sein, von Umwelt ganz zu schweigen.“
Damit hielt sie inne und starrte vor sich hin. Michaela hatte sich gerade Janine gegenüber niedergelassen, als der Bezug des Bügelbretts zu qualmen anfing. „Verdammt!“ rief Michaela auffahrend, um das Eisen in Sicherheit zu bringen.  
    „Der Brigadeleiter hat Wegmann einen Saboteur geheißen und wollte seinen Untergebenen zur Meldung bringen.“
    „Ja und? Wat weeß der junge Wegmann eijentlich schon von Jahrzehnten, he?“ fragte Michaela verständnislos.
    Janine schluckte, berichtete aber in ernstem Ton weiter: „Der Junge war halt erregt und machte einen Schritt auf den Brigadier zu, der sich zur Seite drehte. Wegmann fiel über ein liegengebliebenes Kabel und rutschte bei dem Versuch, sich aufzurappeln, aus und stürzte auf die Schienen des Krans. Wahrscheinlich hat er sich dabei den Oberschenkelhals gebrochen; jedenfalls kam just in diesem Augenblick der Kran angefahren und trennte Wegmanns Bein am Kugelgelenk ab, ehe noch jemand richtig erfassen konnte...“
    Michaela heulte hysterisch auf, was sich wie ein gespenstisches Lachen anhörte. Janine wurde kreidebleich. Oben in Widulles Wohnung hörte man Schritte.
    „Komm zu dir!“ rief Janine schockiert.
    Da schlug Michaela die Hände vors Gesicht. Oben wurde die Tür aufgerissen, und Ingrid rief herunter: „Mamma, wo bleibst du denn?“
    Janine, aufgestört aus ihrer Entrüstung, stand auf, um durch die Tür zu rufen, sie käme gleich. Sie kehrte sich um, blieb einen langen Augenblick vor Michaela stehen, auf deren jetzt eingefallenen Zügen sich der Widerschein des Unglücksfalles auszubreiten begann. „Auch das ist Politik, Ela“, sagte sie beherrscht. „Freilich eine miserable. Und damit das anders wird, müssen wir etwas unternehmen.“ Damit verließ sie die Küche und begann schweren Schritts die Stufen zu erklimmen.
    Michaela war einen Augenblick lang wie gelähmt über das Vernommene und ihre Reaktion darauf. Ihr schoss durch den Kopf, wie es wohl wäre, wenn ein solcher Unfall sie selbst beträfe. Jäh fuhr sie auf, trat auf den Flur hinaus und rief hinauf: „Tschienie, so sag doch: Was ist mit dem jungen Wegmann?“
    Janine drehte sich, oben angelangt, noch einmal um. Ihr Ton war immer noch ruhig und gefasst, als sie erwiderte: „Der SMH-Wagen kam nicht gleich durch das trümmerfeldartige Kombinatgelände. Auf dem Transport in die Charité ist er verblutet.“
    Es war schon dunkel, der Jahreszeit gemäß, aber noch warm wie im Altweibersommer, weshalb Tür und Fenster offen standen, während Michaela bügelte. Janines Bericht über den Unglücksfall und ihre eigene Reaktion darauf ließen sie nicht los. Sie hörte Janine mit dem kleinen Willi die Treppe heruntersteigen und schaute den beiden nach, wie sie an den Vorgartenzwergen vorbei auf die Straße traten, bis sie aus ihrem Blickfeld verschwanden. Jetzt gehen sie zu dieser blöden Versammlung, dachte sie und bereute doch gleichzeitig ihr gleichgültiges Geschwätz vom Nachmittag.
    Nachts sank sie todmüde ins Bett, kreuzte ihre Arme unter dem Kopf. Still daliegend machte sie sich zum ersten Mal Gedanken über Zusammenhänge, die ihr bisher verborgen geblieben waren, weil sie sich blind und taub gestellt hatte für alles, was irgendwie nach Politik roch. Aber da schien doch manches faul im Staate Dänemark, dachte sie, und es ist vielleicht doch was dran an dem, was Janine sagte. Doch die hat leicht reden, dass man dagegen etwas tun muss! Was konnte man denn dagegen unternehmen, und

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