Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)
„Pardon, aber...“ Er wich verlegen ihrem Blick aus und senkte den Kopf. „Ich kann es dir nicht so recht erklären. Am besten, wir sprechen nicht mehr davon, nicht wahr?“ Damit kehrte er ihr jetzt wieder voll sein Gesicht zu, und Michaela konnte in seinen dunklen tief liegenden Augen noch die Reste seiner unbändigen Erregung entdecken.
Doch die junge Frau ließ nun nicht mehr locker. „Nee, Willi, so lass ich mich nicht von dir abspeisen! Das ist doch nicht normal, wenn einer vom Direktor belobigt und dann recht böse wird, weil man ihm dazu gratuliert. Also, das grenzt ja schon beinahe an ... ich weiß nicht, was. Los, erzähl jetzt, sag mir alles, was du auf dem Herzen hast.“ Und als er noch immer zauderte, ergriff sie abermals seine Hand, beugte ihr Gesicht ganz nah an seines, so dass er ihren Atem spürte, und wisperte: „Menschenskind, Willi! Wir kennen uns doch, seit du auf der Welt bist! Bin ich nicht fast wie eine zweite Mutter zu dir?“ Er zog noch immer ein unwilliges Gesicht. „Als du noch ein Steppke warst, mein ich. Warum hast du so gar kein Vertrauen zu mir?“ Der kleine Willi starrte vor sich auf den Boden. Michaela fühlte, dass ihre Worte auf fruchtbaren Boden bei ihm gefallen waren, und wusste, dass sie ihm nun nur etwas Zeit lassen musste und nicht weiter in ihn dringen durfte.
Und sie sollte recht behalten. Allmählich, zuerst stockend, dann immer hektischer, berichtete er ihr über den Vorfall mit dem Brief. „Weißte“, begann er, „ich war erst so stolz und so froh, dass sie in der Schule gemerkt haben, wie ich mich in alles verbissen habe, was mir nicht gleich gelingen wollte; bis ich es dann endlich doch geschafft habe. Und was sagt Mamma?“ Er hielt inne und presste die Handballen zusammen. „Am Schluss kommt gar nichts von ihr, jedenfalls nichts, was mir weiterhülfe. Du kennst sie ja, sie kann nicht anders. Immer nur vernünftig denken und in Opposition gehen! Überall sieht sie die Ursachen und erklärt dir ungefragt alle möglichen und unmöglichen Zusammenhänge ganz wunderbar: warum es so und nicht anders ist, was getan werden muss, damit sich die Verhältnisse ändern... Und alles hat sie kommen sehen! Da frag ich mich doch, warum sie immer noch in der Partei ist? Aber mir die kleinste Freude verderben gerade in dem Moment, wo ich auf meine Leistung stolz bin, so dass ich mir wie ein Musterpionier vorkomme!“ Die letzten Worte stieß er laut und zornig hervor, sprang auf und lehnte sich mit dem Rücken an den Laternenpfahl, heftig atmend und die Fäuste in den Hosentaschen vergrabend.
„Aber Willi, das hat sie bestimmt nicht so gemeint“, versuchte Michaela den Jungen zu beschwichtigen. „Da hast du deine Mutter missverstanden. Ich weiß bestimmt, dass sie wirklich stolz ist auf deine Leistungen, so wie sie sich gegeben hat, als sie mir den Brief zeigte.“
„Meinetwegen“, knurrte er. „Aber es stimmt längst nicht alles, was sie sagt, trotz ihrer viel beschworenen Vernunft !“
Michaela atmete tief durch und lächelte ein wenig befangen. „Ich kann dich ja so gut verstehen“, sagte sie kopfwiegend. „Ich hab´ mit deiner Mutter auch schon einiges miterlebt, das mich manchmal direkt gekränkt und richtig wütend gemacht hat. Nach nüchternem Nachdenken aber hab ich hinterher meistens eingesehen, dass sie recht gehabt hat. Sieh mal, Janine ist halt von frühester Jugend an so erzogen worden, politisch und philosophisch nicht nur zu denken, sondern auch so zu handeln; wie sie sich dann auch stets für ihren Standpunkt eingesetzt hat. Ich würde mir für dich wünschen, dass du so bewusst mit deinem Leben umgehst wie sie.“
„Ich weiß es ja, wem erzählst du das“, brummte er schon leicht ungeduldig. „Und ich versteh ja, was du meinst. Und nichts für ungut, eigentlich bin ich dir sogar dankbar dafür, dass du mit dem Thema angefangen hast.“
„Es ist schön, wenn man sich aussprechen kann“, sagte Michaela ein wenig melancholisch.
Du hast´s jut, dachte der kleine Willi, bist´n kleen bissjen doof, aber sonst ganz niedlich...
Sie saßen noch eine gute Weile wortlos nebeneinander und hingen ihren Gedanken nach; Michaela etwas ernst und versonnen, während das Antlitz des kleinen Willi den Widerschein wiedergewonnener Harmonie verstrahlte.
Nach dem Tagwerk fuhr ein Trabant-Kombi vor dem Haus der Widulles und der Schumann vor, hielt kurz und brauste sofort, blaue Auspufffähnchen hinter sich herziehend, wieder davon, nachdem ein
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