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Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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Tränen liefen ihr die schmalen Wangen herunter.
    Der kleine Willi hatte sich in seinem Zimmer aufs Bett geworfen. Er ärgerte sich maßlos, im Augenblick vor allem darüber, den Wisch nicht mitgenommen zu haben: In tausend kleine Fetzen hätte er ihn zerrissen! Er hatte alles so satt, das Lob der Schule und die Argumente der Mutter, die immer ihr politisches Wechselgeld so geschwind parat hatte, auf alles eine Antwort wusste und ja sooo vernünftig war! Richtig schlecht wurde ihm davon. Demnächst werden schulische Auszeichnungen vielleicht noch mit Geldprämien verbunden wie im volkseigenen Arbeitsleben und klassenkämpferischen Fahnengrenzdienst; kann Mutter ja mal vorschlagen im Betrieb. Aber sie sieht alles auf so weite Sicht, in so großen Aspekten, dass es dem kleinen Einzelnen nichts nützt! Und der Herr Papa könnte sich ja auch mal wieder sehen lassen; wenn der nicht man auch rübergemacht hatte... Willi verstand die Welt nicht mehr! Wo sollte das alles bloß hinführen? Er richtete sich mit einem Ruck auf, schöpfte mühsam Atem und hatte das Gefühl, jeden Augenblick ersticken zu müssen; es war auch unerträglich schwül noch im Raum.
    Er verhielt und lauschte: Im Haus herrschte Stille. Es hielt ihn nicht länger in den engen vier Wänden, er musste an die frische Luft. Er stieg aus dem Bett und trat zur Tür, öffnete sie einen Spaltbreit und horchte. Die Schuhe streifte er ab, um vorsichtig die knarrende Stiege hinabzusteigen, wobei er bei jeder Stufe atemlos verharrte, bis er schließlich aufatmend im Hausflur stand. Auch in Michaelas Wohnung rührte sich nichts. Mit hastigen Schritten huschte er auf Zehenspitzen zur Haustür und ergriff vorsichtig den großen Schlüssel, der von der Klinke herunter baumelte, um ihn behutsam ins Schloss zu stecken, das ziemlich laut schnappte. Sogleich vernahm er aus Michaelas Küche einen Laut, und Sekunden später ging ihre Tür auf.
    „Herr Kloczowski?“ flüsterte sie fragend und wiederholte, als sie im Flur die Umrisse einer Gestalt ausmachte: „Herr Kloczowski, sind Sie es?“
    Willi verhielt regungslos, weil er sich ertappt fühlte, doch schon im nächsten Augenblick fand er sich albern und raunte knurrend: „Nein, ich bin es nur ... Willi.“ Es klang ein wenig unwirsch und herausfordernd. Doch Michaela schien erleichtert und froh, zu fortgeschrittener Stunde noch Gesellschaft zu haben; jedenfalls reagierte sie auf die Abweisung in seiner Stimme nicht.
    „Willst du noch Luft schnappen bei der Schwüle?“ fragte sie. Willi brummelte etwas Unverständliches, was sie sofort für Zustimmung hielt, denn sie setzte gleich hinzu: „Wart einen Moment, ich komme mit, wenn du nichts dagegen hast, hier drinnen ist es nicht zum Aushalten nach den bulligen Tagen.“
    Willi wäre am liebsten fortgerannt; er wollte allein sein. Aber da das jetzt schlechterdings unmöglich schien, weil er Michaela wirklich mochte und sie nicht vor den Kopf stoßen wollte, trat er in die Dunkelheit vors Haus und blieb unschlüssig stehen. Michaela folgte ihm und zog die Tür hinter sich zu. Es ging auf Mitternacht, doch der Mond tauchte die Kruggasse in ein grünliches Dämmerlicht.
    „Weißt du was“, meinte Michaela, blieb an der Hecke des Vorgartens stehen und ließ den Hausschlüssel in ihrer Kitteltasche verschwinden, „ich mach dir einen Vorschlag: Vor dem Spazierengehen darf ich dich auf ein Glas Bier vorn an der Ecke einladen, ja?“
    Willi nickte und zog die Brauen hoch. Ich fahre zwar einen richtigen Höllenbrand, dachte er, aber...
    „Ich bin riesig durstig, du sicher auch, und wir brauchen uns ja nicht gar zu lang da drin aufzuhalten, einverstanden?“ sagte Michaela schnell. Sie schien so aufgekratzt zu sein, dass sie nicht bemerkte, wie hölzern-steif der Junge neben ihr stand und auf ihr fideles „Also komm mit!“ stumm wie ein Fisch neben ihr hertrottete.
    Als sie die gastronomische Einrichtung, eine einfache, doch gemütliche Bierstube betraten, verschlug es ihnen den Atem, so dicht stand der Qualm stinkenden Heimattabaks im Saal, der noch proppenvoll war, so dass die Ankömmlinge gerade noch ein Tischchen in einer hinteren Ecke fanden. Der Wirt, ein Mann um die Vierzig, mit Hängewangen schon, schob seinen aufgeschwemmten Bierbauch rudernd zu den späten Gästen, um ihre Bestellung aufzunehmen und scherzte mit seinem verräucherten Bass: „Na, Michaela, hast du dir einen jungen Kavalier angelacht?“
    „Warum nicht?“ lachte sie parierend, „bloß kein´ Neid

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