Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)
drängte sich vor und ergriff geschwind in einer galanten Bewegung Genevièves Hand und senkte seine stahlblauen Augen tief in die der jungen Frau, wobei über die tiefen Furchen seines eingefrorenen Lächelns ein Anflug unverblümter Anzüglichkeit glitt. Doch hatte Geneviève keine Zeit, ihrem Befremden darüber Ausdruck zu verleihen, weil Herr La Mettrie auf sie zutrat und ihre Hand nahm.
„Grüß Gott, meine sehr verehrte Gnädigste“, krächzte er, wobei sein Glasauge Geneviève anzufunkeln schien, während das gesunde ausdruckslos wässrig schaute. „Ich habe ja schon so unendlich viel von der Gnädigsten gehört, wirklich reizend!“
Damit küsste er schmatzend ihr Händchen, stieß ein meckerndes Lachen hervor, das an einen heiseren Ziegenbock gemahnte und verschlang verstohlen mit begehrlichen Blicken die beiden zarten Hügel, die aus dem Dekolleté recht einladend hervorlugten.
Das Speisezimmer erstrahlte im Glanz eines großen Kerzenlüsters, auf der gedeckten Tafel flackerten heimelig Talglichter auf zweiarmigen Silberleuchtern. Geneviève hatte bei ihren bisherigen Besuchen den Salon nie bei Beleuchtung gesehen und war jetzt von dem festlichen Prunk wie geblendet; die Genossin, die sie nicht aus den Augen ließ, gewahrte es nicht ohne Befriedigung und blinzelte Carmen Denikin verstohlen zu.
Die Tischordnung ließ die junge Frau La Bruyère zwischen der Genossin und dem alten La Mettrie zu sitzen kommen, während ihr gegenüber Carmen Denikin Platz nahm und an ihrer Seite der blonde Warschauer, dessen stechende Augen Geneviève verwirrten. Wie scheußlich, dachte sie mit einem Seitenblick auf Poniatowski, dass die Tante ausgerechnet diesen unheimlichen Kerl eingeladen hat. Warum bloß? Der verdirbt einem ja den ganzen Abend, wenn er einen so unverschämt anstiert. Sie schlug die Augen nieder, um seinem Blick auszuweichen, und stutzte: Zwischen ihrer gefalteten Serviette mit eingesticktem Emblem, das ein wenig surrealistisch Hammer und Sichel darstellten sollte, lag ein schmales Etui aus dunkelrotem Saffianleder. Als sie aufblickte, schaute sie in das lächelnde Gesicht der Genossin, die ihr aufmunternd zunickte, worauf Geneviève zögerlich nach dem Schächtelchen griff, um es mit spitzen Fingern zu öffnen. Ein schriller Schrei des Entzückens entfuhr ihr, als sie auf einem goldseidenen Kisschen einen von Brillanten umsäumten Saphir in barocker Gelbgoldfassung an einem dünnen Kettchen ruhen sah.
Die Genossin Wagner-Gewecke erhob sich, um hinter ihre Nichte zu treten. Sie legte ihr das Schmuckstück um den Hals, wobei sie wie in einer Aufwallung zärtlichen Gefühls über Genevièves freie Schultern strich. Der greise Uffo La Mettrie rekelte sich auf seinem Sitz und rief begeistert: „Wunderbar! Einfach entzückend!“ Dabei kniff er sein gesundes Auge zu und applaudierte diskret mit den Fingerspitzen seiner Rechten in die linke Handfläche. Poniatowski grinste schlitzäugig und unverfroren, während er mit betont gemächlichem Nicken, das impertinent-vertraulich anmutete, ebenfalls ein Zeichen des Beifalls gab.
„Nun komm, mein Kleines“, rief die Genossin, „jetzt musst du dich aber auch selbst im Spiegel bewundern!“
Alles hatte sich erhoben und umringte die junge Frau vor dem goldumrahmten Spiegel, schaute ihr über die Schulter und gratulierte ihr geschäftig. Ganz eingenommen von ihrem eigenen Spiegelbild und dem funkelnden Edelstein auf ihrer Brust, der bei der leisesten Bewegung sein blaues Feuer versprühte, nahm sie traumverloren die lebhaften Huldigungen ihrer Mitgäste mit einem flüchtigen Neigen ihres Kopfes entgegen. Plötzlich wurde die Tür heftig aufgestoßen, eine schmächtige junge Frau – zierlicher noch als Geneviève – mit flachsblonden Haar und hellblauen blitzenden Augen stürzte herein und blieb auf halben Weg zwischen der offenen Tür und der Spiegelgruppe stehen, um mit kindlich-heller, jetzt auch vor Erregung schriller Stimme zu rufen: „Die Vo thi Lien lässt fragen, wann denn endlich serviert werden kann, da sie heute noch in die HOG zurück muss!“ Dabei ließ sie Geneviève nicht aus den Augen, die in tiefster Bestürzung verharrte, nicht wissend, wie ihr geschah, und sogar etwas näher auf das Mädchen zutrat und es hasserfüllt anstarrte, so dass es fast den Anschein hatte, als wolle sie sich jeden Moment auf die mutmaßliche Rivalin stürzen. Der alte La Mettrie machte denn auch eine instinktive Geste, wie um sich schützend vor Geneviève zu
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