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Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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verschlampten Haufens, der uns heute so anstinkt.“ Er feixte und fasste sich grienend an die Nasenspitze.
    Janine nickte eifrig. „Ich brauche ja nur mal Kartoffeln einkaufen gehen, oder Zwiebeln! Hier liegt der Hund begraben, in der Unfähigkeit, die Arbeitsproduktivität des entwickelten Kapitalismus zu erreichen. Und dass uns die Partei zu ihrem bloßen Transmissionsriemen degradiert. Diese verdammten Kommandostrukturen. Diktatur der Partei, nicht des Proletariats!“
    Der große Willi fuhr sich mit der Hand über die Augenbrauen, strich sich eine imaginäre Haarlocke aus der hohen Stirn. „Hierzulande muss niemand verhungern; und jeder hat ein Dach über dem Kopf, auch wenn es ab und an hereinregnet. Vorläufig hat das neue Denken noch keine Ungerechtigkeit aus dieser Welt geschafft, und wer weiß, wo das alles noch mal hinführen wird. Wollt ihr die Nationale Front aufsprengen und die Geister hereinfluten lassen, die ihr damit beschwört?“
    „Ich weiß nur, dass uns die Parteiführung belogen hat, gemein belogen!“ schrillte die Stimme des Sachsen dazwischen. „Das kommt mir alles so bekannt vor: die Beschwörungsformeln von Ruhe und Ordnung, mit denen uns die Bonzen und Tschekistenfreunde wieder einmal hinhalten wollen, die als ewige Bremser im ZK sitzen!“ Wieder glühten seine Augen und Wangen, musste er atemlos keuchen und sich zurücklehnen, um zu verschnaufen. Doch als der große Willi ihn durchdringend ansah und schon zu einer langen Erwiderung ansetzen wollte, kam ihm diesmal Ludolf zuvor: „Mit ihrer Ordnung haben sie es in letzter Zeit immer gehabt, und wenn alles dabei in die Brüche geht; nur ordentlich muss es kaputt gehen! Dabei haben sie die Hosen gestrichen voll und schicken ihre Leute nach China auf die Parteischule!“  
    „Da ist was dran, Willi“, mischte sich Janine ein, „wir Frauen zum Beispiel haben geschlossen die Parteiführung angegriffen, weil die Kronen der Schöpfung die Augen verschließen vor den Problemen vor der eigenen Haustür und mit spitzen Fingern nach West oder Fernost verweisen. Statt dessen lassen sie Vopo und Betriebskampfgruppen üben, militärisch und mit striktem Schießbefehl gegen Andersdenkende einzuschreiten! Wir wissen das aus zuverlässiger Quelle.“
    „Die Quelle sprudelt bestimmt aus dem Bett eines Mitglieds des ZK!“ rief Friesel.
    Betretenes Schweigen herrschte noch, als Janine, die einen blauen Marx-Engels-Band zur Hand genommen hatte, rasch die Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie nachschlug und zitierte: „Es handelt sich darum, den Deutschen keinen Augenblick der Selbsttäuschung und Resignation zu gönnen. Man muss den wirklichen Druck noch drückender machen, indem man ihm das Bewusstsein des Drucks hinzufügt, die Schmach noch schmachvoller, indem man sie publiziert. Man muss die versteinerten Verhältnisse der deutschen Gesellschaft schildern und sie dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigene Melodie vorsingt. Man muss das Volk vor sich selbst erschrecken lehren, um ihm Courage zu machen.“
    „Aber so was braucht Jahrzehnte“, sagten die Männer wie aus einem Mund.
    „Eben“, entgegnete kopfschüttelnd die Frau, ehe sie sich anschickte, die Runde zu verlassen. „Helden“, sagte sie noch, als sie die Tür hinter sich zuschlug, und abschätzig: „Revolutionäre!“ Jetzt war es an den Mannsleuten, stumm die Häupter zu wiegen.
     
    „Lass dich einmal ansehen, Darling“, sagte die Genossin, die Geneviève persönlich einließ und ihr den dünnen Mantel abnahm. „Entzückend schaust du aus, nein wirklich, ganz reizend!“ Sie schloss ihre Nichte, die sich für das Kleid bedanken wollte, in die Arme. „Ach geh, mein kleines Kaninchen, das ist doch der pure Egoismus von mir; ich freue mich doch selber am meisten, wenn du gut aussiehst.“
In diesem Augenblick läutete es an der Haustür, und als die Genossin Wagner-Gewecke öffnete, traten Carmen Denikin und in deren Schlepptau Uffo La Mettrie und Boleslaw Poniatowski ein.
    „Heute spiel´ ich selbst das Dienstmädchen“, begrüßte sie ihre Gäste, „die Paula wurstelt mit Vo thi Lien, unserer exotischen Gastwerktätigen, in der Küche. O Gott, o Gott, o Gott, es hapert halt überall am Personal.“ Sie seufzte affektiert und stellte sich hinter Geneviève, sie bei den schmalen Schultern fassend. „Das hier also ist meine liebe Nichte, von der ich euch schon so viel erzählt habe“, wandte sie sich an den alten Herrn La Mettrie. Aber Boleslaw Poniatowski

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