Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)
einer Kraft, die der Warschauer ihr nicht zugetraut hatte, indem sie ihm das Gesicht zerkratzte und sich in seiner blonden Mähne festkrallte. Und obwohl sie in seiner eisernen Umklammerung kaum atmen konnte, versuchte sie dennoch, um Hilfe zu rufen, was aber ganz aussichtslos schien, da ihre Stimme von der Musik aus dem zu weit entfernten Salon übertönt wurde. Womöglich hätte Poniatowski sie schließlich überwältigt – ihr Widerstand geriet immer schwächer –, wenn nicht unverhofft und von unerwarteter Seite Hilfe gekommen wäre.
Der Warschauer hatte sie bereits bis zur Ausgangstür gezerrt, musste lediglich nur noch eine Hand freibekommen, um die Tür zu öffnen, und es galt nur noch, sein Opfer bis auf die Straße zu schleppen, wo Carmen Denikins Limousine mit dem Chauffeur wartete, der ihm völlig ergeben war.
Die Genossin hatte sich gewundert, dass Geneviève nicht zurückkam, und bemerkt, dass zugleich auch der Warschauer seit geraumer Zeit verschwunden war; sie wurde unruhig und beschloss, nach ihrer Nichte zu sehen, die unter Umständen in der Toilette eingeschlafen war. In Türnähe vernahm sie dann einen schwachen halberstickten Laut, der sie die Tür aufreißen hieß...
Poniatowski, der in diesem Augenblick seine Beute nur mit einem Arm festhalten konnte, hörte hinter sich ein Geräusch, das ihn sich umwenden ließ. Diesen Moment nützte Geneviève, sich loszureißen. Als sie die Tante unter der Tür stehend erblickte, lief sie auf sie zu, sich ihr in die Arme zu werfen.
Der Warschauer stand keuchend an der Haustür und stierte in hochsteigender Wut auf die beiden Frauen; er und die Genossin, die stumm ihre erschütternd schluchzende Nichte umarmt hielt, maßen einander wortlos mit feindseligen Blicken. Was dann geschah, setzte selbst den abgebrühten Ganoven in höchstes Erstaunen und nötigte ihm so etwas wie Respekt vor der Genossin ab.
Die Spannung in Friedrikes Zügen hatte allmählich nachgelassen und ihr unhübscher Mund verzog sich zu einem spöttischen Lächeln, wobei sie immerzu Geneviève wie schützend umfangen hielt, deren Kopf an ihrer Brust gebettet lag. Einzig mit knapper herrischer Geste gab sie dem Warschauer zu verstehen, er solle verschwinden. Poniatowski nickte verständnisinnig und ging, ohne sich noch einmal umzublicken.
Dieser Zwischenfall hatte den Plan der Genossin völlig durcheinandergebracht, ihre Nichte mit Hilfe des Alkohols gefügig zu machen. Nachdem sie die Haustür hatte zufallen hören, musste sie die größte Mühe aufbringen, die gänzlich Verstörte einigermaßen zu beschwichtigen, um ihr begreiflich zu machen, dass Boleslaw Poniatowski – ein ansonsten aufgeräumter Gesellschafter, wie sie betonte – sich lediglich unter dem Einfluss des hochprozentigen Getränks zu einem derartig unerhörten Vorbeibeinehmen hatte hinreißen lassen. „Schon morgen wird er dich äußerst zerknirscht um Entschuldigung bitten“, behauptete Friederike und gab Geneviève ein Beruhigungsmittel. Es gelang ihr sogar, ihre fassungslose und erschöpfte Nichte dazu zu bewegen, bei ihr im Gästezimmer zu übernachten.
Dort blieb die junge Frau – noch zitternd bei dem Gedanken an das Erlebte – lange wach liegen; die Tür hatte sie abgeschlossen, doch das Licht angelassen, weil sie sich vor der Dunkelheit fürchtete. Jedes kleinste Geräusch im Haus ließ sie ängstlich aufhorchen, und obwohl sie sich ständig sagte, hier doch vollkommen sicher zu sein, wollte die anhaltende Beklemmung nicht von ihr weichen. Noch eine Weile vernahm sie das Lärmen der Gäste im Anwesen der Genossin und hörte Klavierspiel, bevor es still wurde. Endlich erkannte sie dann die Stimme des alten Uffo La Mettrie und die von Carmen Denikin, die sich offenbar von der Hausherrin verabschiedeten.
Wenig später näherten sich über den Korridor gedämpfte Schritte; Geneviève knipste die Nachttischlampe aus, als es schon sachte an der Tür klopfte. Sie verhielt den Atem und wagte sich nicht zu rühren. Erneut klopfte es, die Türklinke wurde vorsichtig heruntergedrückt und nach einigen Sekunden wieder langsam losgelassen. Die junge Frau hörte von draußen ein Gemurmel und das halblaute Rufen ihres Namens; es war die Stimme der Genossin.
Eine Weile rührte sich nichts, bis abermals die Stimme zu vernehmen war, diesmal etwas lauter und herrischer: „Geneviève! So hör doch... Ich muss dir unbedingt noch etwas sagen! So öffne doch!“
Einmal mehr wurde die Klinke heruntergedrückt, jetzt
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