Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)
stellen, doch die Genossin kam ihm zuvor, indem sie einen halben Schritt auf das Mädchen zu trat, das offensichtlich fast von Sinnen war vor Eifersucht, und die Bewegung von Friederike genügte, die Rasende zusammenzucken und einhalten zu lassen; aus ihren eben noch hasserfüllten Zügen wich alle Farbe, und mit verzerrter Grimasse senkte sie wie ein geprügelter Hund den Kopf, um langsam und geduckt zur Tür zurückzuweichen und, sich abrupt umkehrend, aus dem Raum zu stürzen.
Alles schwieg betreten, und Geneviève war von dieser Szene so konsterniert, dass sie am liebsten auch davongelaufen wäre, weil sie zum ersten Mal etwas wie Angst erfasste vor der Genossin. Die Knie wurden ihr weich, und Friederike – es bemerkend – legte den Arm um sie und führte sie lächelnd zu ihrem Platz zurück, indem sie schmeichlerisch sagte: „Aber ich bitte euch, meine Lieben, so nehmt doch wieder Platz; es wird sogleich aufgetragen werden, wie ihr eben gehört habt.“
Geneviève – noch immer völlig benommen und am ganzen Körper zitternd wie Espenlaub – war abgrundtief betroffen sowohl von dem Auftritt der Bediensteten als auch dem der Genossin und ihrer zynisch-kalten Art, den Zwischenfall verharmlosend umzudeuten. Aber nicht genug damit, beliebte die Genossin, als alle an den Tisch zurückkehrten, noch im Plauderton hinzuzufügen: „Die Kleene hat etwas schwache Nerven und ist halt hin und wieder nicht ganz bei Trost. Nun ja, sie ist ein sorbisches Waisenkind, das ich aus Mitleid ins Haus genommen habe; viel kann das Hämeken ja nicht helfen, aber irgendwie will sie sich doch nützlich machen im Haushalt, nicht wahr?“
Geneviève konnte gewahren, wie die schöne Carmen und der Warschauer bei den Worten der Genossin ironisch grienten und bedeutungsschwangere Blicke austauschten. Der greise La Mettrie war als Erster an seinen Platz zurückgekehrt und ließ sein Glasauge in die Hand fallen, um es geistesabwesend um- und herumzudrehen, wobei er – ohne aufzublicken – an seiner Unterlippe nagte. Der Genossin hingegen gelang es, die peinsame Stille zu ignorieren, die ihrer Ausführung gefolgt war, und unter bezauberndem Lächeln fragte sie ihre Nichte: „Nun, mein Kleines, findet der Stein deinen Beifall?“
Geneviève – so ganz unverhofft angesprochen – fuhr zusammen und antwortete hastig, stammelnd und gequält lächelnd unter dem krampfhaften Versuch, möglichst unbefangen zu wirken: „Natürlich ... doch, ja ganz wundervoll, Tante! Und ich weiß auch gar nicht, womit ich das...“
„Papperlapapp!“ unterbrach sie die Genossin und schaute ihre Nichte auf die gewinnendste Art an, als die zweiflügelige Schwingtür aufging und Vo thi Lien, die hübsche Gelegenheitskonkubine des Herrn La Bruyère, den Servierwagen mit Speisen und Getränken hereinschob, während die Waise ihr ein Tablett mit einem Fasan hinterhertrug.
Geneviève saß steif auf ihrem Platz, heißes Blut stieg ihr in die Wangen, als sie das junge Mädchen erneut erblickte, das mit verweinten Augen jetzt ängstlich vermied, beim Bedienen jemand anzublicken. Der jungen Frau dämmerte nun, wie in Wahrheit das Verhältnis beschaffen war zwischen der Genossin und der Hausangestellten, zugleich fiel ihr das Gerede der Tante über die lesbische Liebe wieder ein, und sie begriff schlagartig, warum ihr Mann in seinen Briefen unterschwellig ihr wiederholtes Zusammensein mit seiner Cousine missbilligt hatte, und ihr wurde bewusst, dass er sie hatte damit warnen wollen. Sie schwor sich, viel mehr noch auf der Hut zu sein als bisher.
Für den Augenblick vermochte sie ihre Gedanken nicht weiterzuspinnen, weil das Delikateste serviert wurde, das für Leute mit den rechten Beziehungen auch am Ende des vierten Jahrzehnts der real existierenden Misswirtschaft immer noch irgendwie aufzutreiben war. Und die Genossin selbst bediente ihre Gäste mit getrüffelter Gänseleberpastete als hors d´oeuvre, wozu ein nerviger Gewürztraminer aus dem Elsass gereicht wurde, mit Steinbutt in Sauce Mousseline und dem dazugehörigen edlen Cote de Bergerac; schließlich reichte sie Rebhuhn mit Preiselbeeren und rotem Saint Julien, der den aparten Wildgeschmack noch unterstrich; abgerundet wurde die Tafel mit verschiedenen Desserts, wozu Krimsekt getrunken wurde.
Opulentes Mahl und erlesene Weine versetzten die Tafelrunde in angeregte Stimmung, und nicht unerwartet beeilte sich der greise Uffo, aus seinem reichen Repertoire schlüpfriger Anekdoten etliche Zoten zum besten
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