Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)
absichtlich geräuschvoll, und fahren gelassen. Als darauf keine Reaktion erfolgte, wurde draußen eine Verwünschung ausgestoßen. Geneviève zuckte unwillkürlich zusammen und zog, ängstlich sich zusammenkauernd, die Bettdecke über die Nase. Als sich die Schritte schließlich entfernten, atmete sie auf.
Bald schlug irgendwo eine Tür, dann kehrte Ruhe ein im Haus.
Geneviève lauschte noch eine Weile, bis die Müdigkeit sie übermannte und sie einschlafen ließ.
Plötzlich fuhr sie aus dem Schlaf. Irgendetwas hatte sie geweckt. Nun glaubte sie, einen Schrei zu vernehmen; mit wild klopfendem Herzen saß sie aufrecht im Bett und horchte: Nichts regte sich. Schon meinte sie, nur geträumt zu haben, und ließ sich langsam ins Kissen zurücksinken, als ein nochmaliges Geräusch sie wieder hochfahren ließ: Diesmal hatte sie es ganz genau gehört, jetzt wieder... Ein Schrei! Und ein weiterer gellte auf, ganz deutlich, und noch zwei schrillere folgten, so als ob jemand vehement geschlagen würde.
Dann ertönte ein klägliches Wimmern, sehr vernehmlich, hernach ein erneuter Aufschrei, der sich noch dreimal wiederholte. Danach war nur noch undeutliches Jammern zu hören, bis eine Türe heftig zugeschlagen wurde und Stille eintrat.
„Mein Gott“, flüsterte Geneviève und rang die Hände. Sie dachte mitleidig an dieses arme Geschöpf, das seiner Gebieterin auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war, und eine unsägliche Angst vor der Genossin überkam sie und ließ eine plötzliche Übelkeit in ihr aufsteigen. Die junge Frau sprang aus dem Bett, um zum Waschbecken zu stürzen, wo sie sich heftig übergab. Ermattet wankte sie zurück und sank wie gerädert aufs Bett. Eine erneute Erschütterung packte sie und wollte sich nur schwer in haltlosem Schluchzen auflösen.
Indessen ruhte die Genossin rücklings auf ihrem breiten französischen Bett und schmiedete einen neuen Plan, zu dessen Ausführung sie sich der Hilfe dieses Warschauer versichern musste, obwohl er ihr jetzt noch vielmehr zuwider war; sie hasste ihn aus tiefster Seele und hatte ihn doch mehr denn je in ihrer Hand. Und mit seinem missglückten Überfall auf das spröde Gänschen hatte er sie auf einen Gedanken gebracht, von dem sie sich Erfolg versprach. Beide – sie und Boleslaw – verfolgten die gleichen Interessen, nur mit dem Unterschied, dass Geneviève für den Warschauer eine Eskapade bedeuten würde, während für sie feststand, dass sie dieses Geschöpf um jeden Preis an sich ketten musste.
Der mit allen Hunden gehetzte Poniatowski war auch in jedem Lasterfach versiert und wusste sofort, was die Genossin damit meinte, als sie anderentags nach einem „Mittelchen“ fragte, mit dessen Hilfe man Genevièves Hemmungen beseitigen könne, wie sie sich zynisch auszudrücken beliebte.
„Ist nichts einfacher als das“, sagte er grinsend. „Unterziehen wir sie kleiner Kokainkur und – wenn alle Stricke reißen – nehmen noch ein wenig Kantharidin dazu.“
„Kokain ist hier doch nicht zu bekommen“, meinte skeptisch Carmen Denikin, die der Unterredung in ihrem Wohnzimmer beiwohnte. „Und Kant... Dingsbums, was ist denn das nun wieder?“
Die Genossin und der Warschauer wechselten einen verständnisinnigen Blick und lächelten maliziös. Friederike sah sich zu einer Erklärung genötigt. „Eine Bildungslücke, meine liebste Carmen“, sagte sie mokant. „Muss ich dir diese Wunderdroge wirklich beschreiben?“ Und als die Freundin eifrig nickte: „Du bist doch sonst in allerlei einschlägiger Literatur bewandert, vom Marquis de Sade bis zum Ritter von Sacher-Masoch. Sollte dir in Tat und Wahrheit das Kantharidinbonbon entgangen sein, das in dem Madrider Abenteuer dieses Herrn Marquis eine Rolle spielt?“
„Und wennschon“, entgegnete die schöne Carmen gereizt „Ich will aber wissen, was ihr der Kleinen da einflößen wollt!“
„Also schön, liebste Carmen. Um dir ein Nachschlagen im Lexikon zu ersparen: Kantharidin ist der giftige Saft aus den Kniekehlen des Kanthariden, eines weichhäutigen Insekts, des sogenannten Ölkäfers, besser bekannt unter der Bezeichnung `spanische Fliege´. Aus der gelben Blutflüssigkeit wird seit alters her ein bewährtes Aphrodisiakum gewonnen.“
„Pfui Teufel!“ rief Frau Denikin angeekelt, „ihr stürzt uns noch alle miteinander ins Unglück, wenn ihr sie vergiftet! Damit will ich nichts zu tun haben, das sag ich euch!“ Sie sprang auf, um ans Fenster zu treten.
„Red´ kein´ Blech!“
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