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Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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sein Haupt und starrte in sein Glas. „Ich habe ihn wirklich gemocht, deinen Papa, mit dem hat man über alles sprechen können, so vernünftig, wie er war, und herzensgut dabei. Tja, die Besten müssen immer zuerst daran glauben!“
    Womit er den Kopf hob und dem stumm da hockenden Gustav in die Augen blickte. Floskeln des Bedauerns hatte der in letzter Zeit allzu viele hören müssen, als dass sie in ihm aufs Neue Gefühle des Schmerzes hätten hervorrufen können. Aber er zuckte doch zusammen, als sich des Onkels schwere Tatze voll Mitgefühl auf seine Schultern legte.
    „Deinen Papa hab´ ich zuletzt gesehen bei unserer Silberhochzeit, wo er die schönsten Polkas gespielt hat, und mein Claudinchen richtig eifersüchtig auf deine Mama war, weil sie so flott mit mir herumgewirbelt ist wie eine Achtzehnjährige.“ Ein Lächeln legte sich über seine traurigen Züge in Gedenken an jene Familienfeier. Gustav spitzte die Ohren, als der Onkel ins Erzählen kam. „Tja, damals hat niemand im Traum an Perestrojka und Glasnost gedacht und daran, wie schnell eine Umwälzung zu marschieren vermag. Und wieder mal geht´s von Ost nach West, ohne Waffen diesmal zwar, aber in festem Schritt und Tritt, wenn ich das mal so salopp formulieren darf...“ Er winkte mit der linken Hand ab und ergriff mit der rechten sein Bierglas, um es in einem Zug auszutrinken, fuhr sich mit dem feisten Handrücken über den Schnauzer und zündete sich eine Zigarre an. Den Rauch blies er ebenso kunstfertig wie genießerisch zu Kringeln in die Luft und stupste Gustav plötzlich vergnügt grienend an.
    „So, und jetzt sag mir die Wahrheit, du Himmelhund, du kommst doch nicht auf den Prenzlauer Berg, um deinem Onkel einen verwandtschaftlichen Besuch abzustatten – du willst doch bestimmt zu den Filmleuten, nicht wahr?“ Damit haute er Gustav mit seiner Pratze so kräftig auf den Schenkel, dass dieser die Zähne zusammenbeißen musste, um vor Schmerz nicht laut aufzuschreien.
    „Richtig, Onkel Momme“, presste er trotzdem hervor, „ich will mir wenigstens die Proben ansehen. In aller Heimlichkeit bin ich hergefahren, weil die Mutter...“
    „Schon gut“, dröhnte der Onkel verständnisvoll nickend. „Sieh dich nur um, draußen und im Saal; und erzähl mir, was die Kerle vorhaben.“ Er knipste seinem Neffen zu. „Nur bist du ein bisschen arg zeitig; vor Mittag fangen höchstens die Beleuchter an.“ Er machte eine ausladende Handbewegung. „Aber was ich dich fragen wollte: Du musst doch sicher einen Mordskohldampf haben, wa?“
    Gustav wehrte mit beiden Händen ab. „Nein danke, Onkel Momme, aber das ist wirklich nicht nötig, denn schon daheim hab´ ich...“
    „Halt den Rand, Himmelhund!“ fuhr der Onkel dem Jungen über den Mund. „Schau zuerst in der Küche vorbei, ob die Tante Claudia schon zurück ist, oder willst du ihr nicht Guten Tag sagen? Sie soll dir eine Bulette geben oder eine Bockwurst, mit Kartoffelsalat auf jeden Fall. Ein Gabelfrühstück wirst du wohl noch vertragen können. Also komm und mach dich in die Kombüse, bestimmt ist sie jeden Moment wieder da...“
    Gustav gehorchte nur zu gern; denn Hunger hatte er eigentlich immer, und er erinnerte sich zudem, dass es bei Jonischeks stets etwas Gutes zu beißen gab, das Tante Claudia bestens zuzubereiten wusste, wenn Kerstin zu Besuch war. Er wartete in der Küche ein Weilchen, doch als die Tante nicht eintraf, hielt es ihn nicht länger, er lief über den leeren Hof und betrat den breiten Korridor, der zum Schützensaal führte, in dem sie heute hoffentlich Innenaufnahmen abdrehten oder wenigstens dafür probten.
    Schon stand er vor der geschlossenen Doppeltür! Diese unvergleichliche Mischung aus Bangigkeit und scheuer Ehrfurcht, wie sie der Schauspielkunst von ihren wahrhaftig besessenen Jüngern entgegengebracht wird, hinderte Gustav zunächst daran, weiter vorzudringen. Gebührend zögerlich verhielt er vor der rostroten Stahltür, hinter der die Nachfahren der holden Schwestern Melpomene und Thalia die Zuschauer abwechselnd zum Lachen oder zum Weinen brachten und die Muse ihre Hände schützend über die Spieler hielt, die bald unter komischer, bald unter tragischer Maske erdichtetes Leben zur Schau stellten, auf dass es auf Zelluloid gebannt werde zum Kunstgenuss für die unermessliche Gemeinde der Lichtspielfreunde. Wenn ich nur wüsste, ob sie schon proben? fragte sich Gustav und stand unentschlossen, angespannt horchend da; doch nichts war zu vernehmen.

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