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Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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weil ihn die dunklen Augen des Schauspielers, die kühl und scharf auf den seinen ruhten, verwirrten; auch dünkte ihm in dessen Miene ein Anflug von Abweisung zu liegen.
    „Was wäre das für ein Begehren?“ klang es knapp und sachlich, bevor sich Frau Dünnleder wieder einschalten konnte.
    „Ich würde schrecklich gern Ihren Proben beiwohnen.“
    Die bescheidene Art, in der er dies vorbrachte, schien den Schauspieler angenehm zu berühren, da seine volle Stimme jetzt wesentlich wärmer klang, als er entschied: „Meinetwegen. Wenn niemand sonst etwas dagegen hat.“ Und mit einem Seitenblick auf die Frau fuhr er fort: „Wir haben es wohl mit einem Hellseher zu tun; bevor wir es den anderen mitgeteilt haben, scheint er schon zu wissen, dass wir was mit Publikum vorhaben.“ Er nickte Gustav kurz zu, und Frau Dünnleder forderte den Jungen auf, sich einen Klappstuhl von der Wand zu holen und inzwischen schon mal Platz zu nehmen. „Nächste Woche bekommen wir die Sitzreihen aus einem wegen Baufälligkeit geschlossenen Kino“, erklärte die Alte. „Dann geben wir hier richtiges Schauspiel, denn unsere Streifen erreichen unzensiert kein breites Publikum im Lichtspiel, ganz zu schweigen von einem begrenzten in der ersten Reihe vor dem heimischen Pantoffelkino. Ich glaube, die Zeit ist reif und die Leute lassen sich in alternative Musentempel locken und...“ Die betagte Aktrice plapperte weiter über die Möglichkeiten, kritische Themen klassisch verpackt unter die Leute zu bringen.
    Gott, dachte Gustav, wie die jetzt ausschaut! Regelrecht gespenstisch und ganz verfallen; so hatte er sie nicht in Erinnerung behalten: wie eine Figur aus dem Londoner Wachsfigurenkabinett, das im Schwarzen Kanal der Chefkommentator des Fernsehens, Herr Karl Eduard von Schnitzler, dem Volk zu später TV-Stunde gerne präsentierte, wenn kapitalistische Politgrößen unilateral zur Schau gestellt wurden. Die Haare trug die alte Dame dunkelfliederfarben, sie nahmen sich ganz schütter aus, als hausten Motten darin, und überall waren sie am Ansatz in ihrer natürlichen fahlgelben Farbe nachgewachsen. Ihre Gesichtshaut hatte sie mit billiger Schminke total übermalt, auf die zerfurchten Wangenhügel helles Jugendrosa aufgelegt, was die kalkweiß gepuderten übrigen Partien leblos wächsern erscheinen ließ, dazu die Lippen in einem leuchtenden Knallrot sowie Wimpern und Brauen pechschwarz nachgezogen. Doch dieser ihr auf seine Weise aufregender Teint war nichts im Vergleich zu der übrigen Aufmachung bezüglich ihrer abenteuerlichen Kostümierung.  
    Gustav konnte sie in aller Ruhe betrachten, da beide Akteure stillstanden. Sie trug ein Kleid in einer Farbe, die er schlechterdings nicht leiden konnte, ein kitschiges Schweinchen-Rosa mit tiefausgeschnittenem Dekolleté, das einst für eine jugendliche Liebhaberin bestimmt gewesen sein mochte. Zu allem Überfluss war es derart kurz geraten, dass es nur knapp auf ihre hageren O-Beine herabreichte, über denen die mehrfachgestopften Strümpfe etliche Falten schlugen. Wie sie so dastand in schiefgetretenen hohen Stöckelschuhen aus silbernem Atlas, ein wenig schlampig, müde, jedoch stets noch bedacht auf Würde und vor allen Dingen Wirkung, erkannte Gustav betroffen: Das war der reine Ausverkauf, äußerster Verschleiß; das war keine Garderobe, sondern Vogelscheuchenbehang. Welch eine Entzauberung! Dabei wusste Gustav, dass es weitaus Schlimmeres gab auf dieser Welt, wovon die Bohéme hierzulande Gott sei Dank verschont geblieben war: die Tragikomödie alter, vereinsamter, Not und Vergessenheit anheimgefallener Künstler, die das Skelett ihrer Vergangenheit mit sich herumschleppten wie Kinder die verschlissene, wenngleich verhätschelte Puppe ihres Vorjahrganges, es immer wieder hervorkramend und aufputzend. Gustav hatte die im Westkanal um die Geisterstunde gezeigten Fernsehbilder verdrängt, die wenig beachtet blieben in heimischen Magazinen und wo solch ein Alter, dessen Vitalität trotz Entbehrung in Armut noch nicht verloschen war, von einstmaligen Erfolgen erzählte mit glänzenden, jung gebliebenen Augen, weisend auf einen angestaubten Lorbeerkranz, vergilbte Rollenfotos und hastig hervorgekramte Zeitungskritiken, um aufgeregt den Beweis verflossenen Glanzes zu erbringen und immer wieder die Schemen der Rollengestalten heraufzubeschwören, die er einst mit Leben erfüllt hatte – so suchte er im Spiel der nie versiegenden Phantasie wieder glückselig aufzuleben, um doch am Ende

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