Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)
Plötzlich zuckte er zusammen: Da wurde ein Möbel gerückt... Jetzt ein Geräusch wie von leise schlurfenden Schritten. Ein stummes Spiel gewiss, das zur Szene gehörte, dachte er und schickte sich an, durchs Schlüsselloch zu spähen.
„Au!“ rief er im gleichen Moment, weil die Türe ihm unsanft gegen den Kopf gestoßen wurde. Eine knochige Scheuerfrau mit Kopftuch, zahnlosem Mund und dem Profil der Hexe aus Hänsel und Gretel stand erschrocken in der halboffenen Tür; bei der zusammenstoßartigen Begegnung war eine kleine Woge Schmutzwasser aus ihrem Aufwischeimer in hohem Bogen über seine Hosenbeine geschwappt. Geschwind sprang er zurück, um der alten Reinigungskraft den Weg freizugeben.
„Das tut mir aber leid, junger Mann“, meckerte sie, „bloß kann ich denn wissen, dass hier jemand draußen steht und durchs Schlüsselloch späht, wenn es ohnehin nichts zu sehen gibt; nächstes Mal passen Sie eben besser auf!“ Womit sie sich bückte, um das verschüttete Wasser aufzuwischen. Gustav traf Anstalten, ihr dabei behilflich zu sein, was sie heftig abwehrte: „Komm, machen Sie sich nicht noch mehr dreckig!“
Sie nickte ihm zu und schlurfte zur Hoftür, wo sie jedoch noch einmal stehen blieb, sich umdrehte und neugierig fragte: „Ach, Sie sind wohl der Neffe von den Jonischeks, wa?“ Und als Gustav bejahend zurücknickte, meinte sie trocken: „Nun, dann bitten Sie die Tante, dass Sie Ihnen mit dem Bügeleisen einmal über die nassen Hosenbeine fährt.“ Damit entschwand sie nach draußen.
Durch die Karambolage hatte sie vergessen, die Saaltür zu schließen, so dass Gustav hineinsehen konnte: Keine Menschenseele ließ sich blicken; eine Theaterbühne war hergerichtet, deren Vorhang geschlossen. Das ins Freie führende große Doppelportal stand weit offen, und er bemerkte im Hof zwei Hennen, die sich glucksend und gackernd im Sand wälzten, ein Anblick wie der Inbegriff ländlichen Friedens, den er hier kaum erwartet hatte.
In einer Saalecke standen eingemottet die Filmutensilien zusammengedrängt wie Schrottautos auf einem Abstellplatz. Ein 30-Zentimeter-Objektiv starrte an die Decke, diverse Scheinwerfer blickten traurig zu Boden, ein fahrbarer Kamerawagen parkte verstaubt an der Wand, und über allem schwebte der Mikrophongalgen.
Doch vorne war der grobe Vorhang, der ihn magisch anzog.
Das Podium war früher stets offen gewesen, hier hielt die FDJ ihre Versammlungen ab, und die Schützenbläser pflegten zu Wohnbezirksfeten aufzuspielen. Der Bühnenvorhang schien neu installiert und war linksseitig mit einem bunten Harlekin verziert, der eine Schellenkappe trug, spitzbübisch grinste und mit einem vertraulich zugekniffenen Auge dem Publikum zublinzelte. In der Mitte trug das schwere Tuch zwei Masken, heiter die eine, tragisch die andere; auf der rechten Seite prangte eine feminine Gestalt in weißer römischer Toga mit erhobenem rechtem Arm, Rutenbündel in der Linken und mit einem wallenden Schleier, der ihr Antlitz verhüllte.
Alles war ziemlich naiv gemalt und übte vielleicht gerade deshalb auf Gustav eine geradezu magische Anziehungskraft aus, auch weil es ihn an sein Kasperletheater erinnerte, das ihm der Vater zu seinem fünften Geburtstag geschenkt hatte. Rasch lief er hin, den Vorhang genauer in Augenschein zu nehmen; das Tuch trug Flicken, die überpinselt waren, und man hatte sich offensichtlich wenig Mühe gegeben, das Stückwerk zu kaschieren. Der ätherische Geruch der Leimfarbe erschien dem Jungen interessant, ja köstlich, und er sog ihn begierig auf; er fühlte sich erinnert an die Wohlgerüche Arabiens, von denen er gelesen hatte, die aber leider nicht im Lichtspieltheater rüberkamen. Mit hocherhobener Nase und wie eine Hyäne schnuppernd setzte er sich auf den leeren Regiestuhl, faltete die Hände, schaute und genoss und atmete diese beeindruckende Kulissenwelt.
Es war ihm nicht allzu lange vergönnt, da draußen plötzlich eine Henne anfing zu gacksen; nach Art eines Kanons fielen andere ein, und schließlich schrien sie glucksend und gackerten alle aufgeregt durcheinander. Es schien also jemand im Anmarsch zu sein.
Nervös stand Gustav auf und flüchtete auf die entgegengesetzte Seite des Saales, die Tür dabei nicht aus den Augen lassend. Rasch näherten sich Stimmen, und bald stürmte ein junges Mädchen mit goldblonden, zu einer Krone aufgesteckten Zöpfen herein, gefolgt von zwei jungen Männern, die mit fliegendem Atem an der Tür stehen blieben. Das Mädchen
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