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Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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Wagen abholen lassen, ohne dass Michaela ihn zu Gesicht bekommen hätte. Und lediglich dienstags und donnerstags hielt er um die Mittagszeit seine mysteriösen Sprechstunden ab, das allerdings stets pünktlich und mit Regelmäßigkeit. Der jungen Wohnungswirtin fiel das lästig, besonders da sie auf der Hut sein musste, dass nicht zwielichtige Elemente Wäschestücke ihrer Kundschaft stahlen, wie es seinerzeit die beiden schokoladenbraunen Schlafburschen praktiziert hatten.
    Bereits eine gute Viertelstunde vor der Zeit pflegten sich fremdartig aussehende Männer von etwas schäbiger Eleganz im Vorgarten neben den Zwergen zu versammeln, was in der Sackgasse aber nicht weiter auffiel. Wenn Kloczowski erschien, traf er nach kurzem Augenschein seine Auswahl unter den wartenden Kandidaten und beschied die übriggebliebenen abschlägig, ohne ihren larmoyanten Bitten und frommen Beteuerungen irgendeine Beachtung zu schenken. Das führte nicht selten zu lärmenden Szenen, wobei er beschimpft und bedroht wurde. Unter der direkten Nachbarschaft hingegen erregten die Auseinandersetzungen einiges Aufsehen, und Michaela sah sich immer häufiger heiklen Fragen ausgesetzt, die sie selbst nicht zu beantworten wusste. Sie tat sie ab mit einem Schulterzucken und der Bemerkung: „Ein Mittler oder Makler halt, was weiß denn ich.“ Darunter mochte sich jetzt jeder vorstellen, was er wollte.
    Ihre fadenscheinige Erklärung hatte zur Folge, dass sich unter das südostländische Gezänk etliche vorwitzige Berliner Schnauzen mischten, die von dem Warschauer recht bald in die engere Wahl genommen wurden. All das erfüllte die junge Frau mit kribbelndem Unbehagen, besonders seit sie periodisch beobachten konnte, wie Männer, sich nach allen Seiten umschauend, das Zimmer Kloczowskis verließen, und sie auf ihren Gesichtern Züge wahrnahm, die sie erschreckten und mit Abscheu erfüllten: ein unverschämt-infantiles Grinsen, hinter dem ihr unverbildeter weiblicher Instinkt etwas Schmutziges, ja Verderbtes witterte. Und jedes Mal wurde sie unwillkürlich an das gemeine Grienen erinnert, mit dem Kloczowski bei seinem ersten Besuch ihren Körper durch das dünne Baumwollkleid so begehrlich betrachtet hatte.
    Am Tag von Gustavs Erstauftritt war Folgendes vorgegangen: Michaela hatte trotz der anhaltenden Herbsthitze den ganzen Vormittag in der Waschküche verbracht, sodann die Wäsche zum Trocknen aufgehängt, um abends alles zum Bügeln einbringen zu können. Am Nachmittag waren die Widullekinder zum Strandbad an den Müggelsee gelaufen, um zu prüfen, ob das Wasser noch ein Bad erlaube, und wenn nicht, wenigstens am Seeufer Strandburgen zu bauen. Eigentlich hatte Willi mit seinen Schwestern auf den Prenzlauer Berg fahren wollen, um Gustavs Debüt mitzuerleben. Der aber hatte ihnen das „Rotkäppchen“ mit der Bemerkung madigmachen wollen, es handele sich um eine Realsatire, und als das nichts half, dringend darum gebettelt, wenigstens heute Abstand zu nehmen von ihrem Vorhaben und eine der nächsten Vorstellungen zu besuchen, da ihre Anwesenheit ihn jetzt noch aus dem Konzept bringen könnte; für Letzteres hatte er geneigtes Verständnis gefunden.
    Michaela und Janine hatten sich am Nachmittag in den Schatten der hohen Kastanie auf die Rundbank gesetzt, die Willi kürzlich zusammen mit dem runden Tisch aufgestellt hatte, dessen aus Kiefernstämmen gezimmerte Platte aus den alten Beständen des Eckkneipenwirts stammte; zu Musstullen tranken sie echten Bohnenkaffee mit der Aufschrift des Westberliner Discounters, von wo er herstammte und den der Warschauer als weiteres Antrittsgeschenk in die Wohngemeinschaft eingebracht hatte.
    Es mochte dann schon fast Mitternacht geworden sein – Janine war längst zur Nachtschicht ins Kombinat gefahren, die Kinder schliefen bereits oben, und es herrschte Stille im Haus –‚ da Michaela gerade im Nachthemd vor dem Spiegel stand und soeben ihre Haarpracht löste, um es für die Nacht durchzukämmen, als sie das Motorengeräusch eines sich rasch nähernden Wagens hörte, der mit kreischenden Reifen in die Kruggasse einbog und schließlich mit quietschenden Bremsen vor dem Haus zum Halten kam.
    Überrascht hob sie den Kopf und spitzte die Ohren: Sollte Kloczowski ein zweites Mal sein Quartier aufsuchen, um hier zu nächtigen? Sie zuckte die Achseln, schließlich war das sein Bier, wann er nach Hause kam und wo er schlief. Sie vernahm sein Hantieren an der Haustür und, wie er aufschloss, das nachfolgende

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