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Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition)

Titel: Letzter Aufzug, Genossen! (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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verfügte über einen gediegenen Namen und war schon wegen seines noblen Klanges etwas ganz besonderes; doch die Hauptsache lag in der Tatsache, dass der Freund ihm durch seine Privatstunden in die nächsthöhere Klasse verholfen hatte. Der Gedanke verschaffte Gustav die volle Zuversicht, dass Huschke das Kind schon schaukeln würde.
    Später schaute er sich die Vorstellung an und war einigermaßen enttäuscht, weil der Oberförster lediglich zweimal in Erscheinung trat: das erste Mal für ganze fünf Minuten, das andere noch nicht einmal halb so lang. Außerdem verstand er kaum, was die doppeldeutigen Formulierungen besagen sollten, und ihn versöhnte allein der Umstand, dass er in der längeren Szene einen knappen Dialog mit Richlind als – wildgewordenem – Rotkäppchen hatte.
    Nach der Darbietung erhielt er von Kurt den mit Stichworten und Fettflecken versehenen handschriftlichen Rollentext, den er mit spitzen Fingern widerstrebend entgegennahm, denn bei Fettflecken und Eselsohren in Heften oder gar Büchern bemächtigte sich seiner ein nicht zu unterdrückendes Ekelgefühl; gleich heute Abend würde er den Wisch zu Hause abschreiben. Aber vorher musste er erst zu Johannes, bevor Mama mit Kerstin daheim eintraf.
    Tatsächlich meisterte es Johannes; und Gustav schwor hoch und heilig, es dem Freund in Ewigkeit nicht zu vergessen. Da wog etwas unermesslich mehr als Nachhilfeunterricht und zugeschusterte Feinkostspezialitäten: Schauspieler sein können!
Am Freitag schon fuhr Gustav beizeiten auf den Prenzlauer Berg und betrat den Saal mit zwiespältigen Gefühlen: Einerseits konnte er es kaum erwarten, andererseits schlotterte er innerlich vor Angst. Doch dann probierte er drauflos mit glühendem Lampenfieber, aber auch mit der Unbekümmertheit seiner siebzehn Jahre, und rasselte seinen Rollentext herunter wie am Schnürchen. „Wie aus der Pistole geschossen!“ lobte Erdmann Jansen und dachte bei sich: aber aus der Hüfte und eine Fahrkarte erzielt. Er bremste also den Jungen, mahnte ihn zu durchdachtem Sprechen, spielte ihm die Szene vor und vermittelte Gustav einen Umriss der Gestalt, um ihn nicht durch allzu viele Details zu verwirren.
    Richlind munterte ihn hernach auf: „Tja, det is doch schon janz prima jejangen! Un Satire is nun mal det schwerste Genre, wat et jibt!“
    Auf dem Weg zur S-Bahn musste sich der Junge eingestehen: Eine Rolle zu spielen war nicht gar so leicht, wie es einem als Zuschauer erscheint! Freilich hatte man ihn mit einem „Na, `s wird schon werden!“ und „Kopf hoch!“ verabschiedet, doch regten sich leise Zweifel, wie das gemeint sein mochte. War das Motiv für das Lob lediglich der Umstand, dass sie einfach keinen Ersatz für Kurt hatten auftreiben können?
    Schließlich war es soweit, und Erdmann Jansen höchstpersönlich schminkte den Jungen und klebte ihm tatsächlich den erhofften Rauschebart an, hinter dem er seine Angst und das seinem Vorgänger wenig ähnliche Milchgesicht verstecken konnte. Bereits eine Stunde vor Beginn der Aufführung war er fix und fertig ausstaffiert; und das im buchstäblichen Sinn, denn Gustav war beileibe kein Falstaff. Man hatte ihm sechs Westen unterziehen müssen, bis die Joppe des Oberförsters wenigstens einigermaßen passte. Kurt war doch beträchtlich breiter gewesen, wofür Gustav über längere Extremitäten verfügte; die Frau Chefin hatte noch rasch Ärmel und Hosenbeine auslassen müssen, so weit der Stoff reichte. Um das restliche „Hochwasser“ zu kaschieren, gab man ihm hohe Stiefel und Röllchen unter die Ärmel, die ihm und seiner Konzentration ins Gehege kamen, weil sie bei jeder kleinsten Bewegung hervorrutschten. Als sich der Eleve zum ersten Mal im Spiegel betrachtete, erkannte er sich kaum wieder. Der Regisseur hatte ihm eine graumelierte Perücke über den Schädel gestülpt, das Gesicht, soweit nicht durch den Vollbart verdeckt, sonnenbraun geschminkt und zwei buschige Augenbrauen angeklebt zur Vervollständigung der Physiognomie eines Mannes, der im Wald zu Hause war. Wenn nur das entsetzliche Warten nicht wäre! dachte er und lief wie ein Tiger im Käfig hin und her, setzte sich alsbald, um sogleich wieder aufzuspringen, sich endlich vor den Spiegel zu hocken und sein Oberförsterantlitz anzustarren. Das wirkte beruhigend auf die flatternden Nerven!
    Also verlief seine Erregungskurve ähnlich der eines im zahnärztlichen Vorzimmer wartenden Patienten, der zitternd vor Furcht eintrifft, sich zunächst allmählich

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