Letzter Gipfel: Ein Altaussee-Krimi (German Edition)
bereits durchgeschwitzt. „Wo bleiben Sie denn, Gasperlmaier? Bleiben Sie doch nicht immer stehen!“ Die hatte gut reden, dachte Gasperlmaier, wenigstens waren ihre Sohlen auf dem glatten, steinigen Untergrund gut zu gebrauchen. Immer wieder musste er sich nun mit den Händen an den Felsen abstützen, wenn er wegrutschte. Die Jacke, die er mit der rechten Hand festhielt, war dabei im Weg. Er zog sie fluchend wieder an. Plötzlich hatte er die Frau Doktor aus dem Blickfeld verloren. Obwohl ihm das Herz bis in die Ohrmuscheln pochte, beeilte er sich, ihr zu folgen. Endlich kam sie wieder in Sicht. Sicher hundert Meter vor ihm. Und fünfzig Meter über ihm. Es half nichts, er musste stehen bleiben, sein Puls raste. Hilflos winkte er der Frau Doktor zu, als sie sich umdrehte. Ihm kam es so vor, als machte sie eine wegwerfende Handbewegung, als sie weiterkletterte. „Servus, Gasperlmaier!“ Der Kilian. Der hatte ihm gerade noch gefehlt. „Fit mach mit, gell? Am Nationalfeiertag! Aber warum denn in der Uniform, Gasperlmaier? Willst einem ein Strafmandat ausstellen, weil er mit dem Radl hinaufgefahren ist?“ Brüllend lachte der Kilian über seinen eigenen Scherz, schlug Gasperlmaier auf die Schulter, dass es dem fast den Atem nahm und war mit ein paar flotten Sprüngen schon wieder weiter unten. Der Kilian, das war einer, der redete und redete, und dem es nicht einmal auffiel, wenn er keine Antwort bekam. Gott sei Dank, dachte Gasperlmaier bei sich, ist er so schnell wieder verschwunden und hat mich heute einmal nicht lang aufgehalten.
Etwa eine Viertelstunde später kam Gasperlmaier an die Weggabelung mitten in dem Latschenfeld, an der es links weiter auf den Losergipfel hinauf, rechts aber zum Hochanger ging. Dort stand die Frau Doktor mit finsterem Gesicht und vor der Brust verschränkten Armen. „Das hat aber gedauert, Gasperlmaier! Sie sollten wirklich was für Ihre Fitness tun!“ Gasperlmaier fand kaum die Luft, um zu antworten: „Warum haben Sie denn auf mich …“ Die Frau Doktor fiel ihm ins Wort. „Weil ich selber nicht einschätzen kann, wohin sie wahrscheinlich gegangen sind. Auf den Loser, oder zum Augstsee hinüber?“ Gasperlmaier deutete nach links, um sich Worte und Atem zu sparen. „Niemand“, keuchte er, „würde hier zum Augstsee weitergehen, wenn er noch nicht auf dem Gipfel war.“
Die Frau Doktor hastete weiter. „Dass wir sie noch nicht eingeholt haben!“, rief sie zu Gasperlmaier zurück, „das wundert mich! Hoffentlich sind sie da oben!“ Schon wieder eilte sie ihm davon, Gasperlmaier versuchte diesmal gar nicht erst, Schritt zu halten. Doch kurz vor dem Gipfelplateau wartete die Frau Doktor wieder auf ihn. Sie hatte, wie Gasperlmaier feststellte, unterhalb eines niedrigen, aber steilen Felsabbruchs Schutz gesucht, sodass sie von oben noch nicht gesehen werden konnte. „Wenn sie oben sind, sollten wir zusammen ankommen!“ Jetzt schien es die Frau Doktor nicht mehr so eilig zu haben. Das letzte Stück ging es über sanft ansteigende Matten. Der Wind pfiff gehörig hier oben, sodass Gasperlmaier jetzt, wo er die ganze Anstrengung des Aufstiegs hinter sich hatte, zu frieren begann. Schon konnten sie erkennen, dass eine kleine Gruppe bunt gekleideter Wanderer rund um das Gipfelkreuz stand. Die Frau Doktor schlich geduckt weiter und deutete Gasperlmaier mit der Hand, das Gleiche zu tun. Einen seltsamen Anblick mussten sie beide abgeben, dachte Gasperlmaier bei sich. Was würde jemand denken, der sie hier heranschleichen sah? Es war wohl das allererste Mal, dachte Gasperlmaier, dass jemand auf dem Losergipfel verhaftet werden würde. Wenn sie den Magister Fritzenwallner überhaupt fanden. Plötzlich blieb die Frau Doktor stehen, streckte die Hand in Richtung Gasperlmaier hinter sich aus und hielt den Zeigefinger vor den Mund. Dann deutete sie nach links. Gasperlmaier schloss auf und blickte in die Richtung, in die sie gewiesen hatte. Tatsächlich saß dort, vielleicht dreißig Meter von ihnen entfernt, ein Pärchen in der Wiese. Der Mann hatte dunkles, kurz geschnittenes Haar und konnte der Herr Magister Fritzenwallner, genauso gut aber jemand anderer sein. Unverkennbar war dagegen die Susi Schneider: Ihr kurzes, oben blond und darunter schwarz gefärbtes Haar war doch ziemlich auffällig, nicht viele liefen so herum. Vor allem, wo man, obwohl sie saß und sich auf einen zurückgestreckten Arm stützte, erkennen konnte, dass die Person eine großgewachsene, kräftige Frau war.
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