Letzter Gipfel: Ein Altaussee-Krimi (German Edition)
„Machen wir so wenig Aufsehen wie möglich. Wir schleichen uns von hinten an, sie können ohnehin nicht weg. Keine Waffe ziehen“, flüsterte sie ihm zu. Das fand Gasperlmaier vernünftig. Nicht einmal der Magister Fritzenwallner, glaubte er, würde sich dazu versteigen, sich hier heroben eine Schießerei mit der Polizei zu liefern, bei, schätzungsweise, zehn, zwölf Zeugen, die sich auf dem Gipfelplateau befanden. Gasperlmaier fragte sich, ob der Magister Fritzenwallner bloß einen günstigen Augenblick abwartete, um die Susi Schneider hinunterzustoßen. Vielleicht mussten sie sich beeilen. So leise wie möglich auftretend, schlich sich Gasperlmaier im Schatten der Frau Doktor an die beiden heran, die, wie er feststellte, gerade jausneten. Der Herr Magister setzte eine Bierflasche an die Lippen und tat einen tiefen Schluck. Dann reichte er die Flasche an die Susi Schneider weiter. Schon waren sie unmittelbar hinter den beiden. „Polizei. Bewegen Sie sich nicht, nehmen Sie nur die Hände hoch!“ Die Frau Doktor stand direkt hinter dem Herrn Magister und hatte ganz ruhig gesprochen. Dem fiel vor lauter Schreck das Käsebrot aus der Hand. Eine Brotscheibe kollerte ein kleines Stück den Hang hinunter, und schon hatte sich eine Dohle laut krächzend darauf gestürzt. Die Susi Schneider, so stellte Gasperlmaier fest, hatte zwar den Mund voll, aber zu kauen aufgehört. Sie starrte die Frau Doktor entsetzt an und hob beide Hände langsam hoch. In der linken hielt sie eine dünne, harte Wurst, in der rechten die halbvolle Bierflasche. Der Herr Magister starrte die Susi an. „Los jetzt!“, zischte die Frau Doktor, und nun bequemte sich auch der Herr Magister, die Arme ein wenig anzuheben. „Gasperlmaier, Schusswaffe!“ Gasperlmaier holte gehorsam seine Glock aus dem Holster, bemühte sich aber, nicht damit herumzufuchteln, sodass die Wanderer am Gipfelkreuz nicht auf sie aufmerksam wurden. Die Frau Doktor trat vor den Magister Fritzenwallner, schloss ihm rasch eine Handschelle zuerst um die linke Hand und zog daran, sodass sie ihm die andere um das rechte Handgelenk legen konnte. „Aufstehen!“, befahl sie. Der Herr Magister erhob sich wortlos, die Susi saß immer noch erstarrt da, die Wurst und die Flasche immer noch in den erhobenen Händen. „Wollten Sie sie auch runterschmeißen? Da sind wir ja gerade noch rechtzeitig gekommen!“ Der Herr Magister schüttelte resigniert den Kopf. „Sie können die Wurst runternehmen“, sagte die Frau Doktor zur Susi Schneider. „Wir sind ja nicht wegen Ihnen gekommen – zumindest nicht, um Sie festzunehmen.“ Langsam schien sich die Susi zu erholen. Sie ließ die Arme sinken. „Was hat er denn, was hat er …?“, stotterte sie. „Ich nehme Sie fest, Herr Magister!“, sagte die Frau Doktor zum Herrn Magister Fritzenwallner gewandt, anstatt der Susi zu antworten. „Wegen Mordes an Sandra Märzendorfer und Simone Eisel.“ Zuerst staunte der Herr Magister die Frau Doktor mit großen Augen an, dann senkte er den Kopf, ohne sich zu den Vorwürfen zu äußern. Gasperlmaier beobachtete währenddessen die Susi genau. Sie riss entsetzt den Mund auf. Scheint so, dachte Gasperlmaier bei sich, als habe sie wirklich keinen Verdacht gehabt, wer ihre Freundin da hinuntergestoßen hat. Gasperlmaier lief ein Schaudern über den Rücken, als er in den Abgrund hinunterblickte. Er mochte sich gar nicht vorstellen, wie es sein musste, hier plötzlich aus dem Gleichgewicht zu geraten, die Füße verloren den Halt, und man stürzte kopfüber … Gasperlmaier schüttelte sich. „Sie gehen vor!“, sagte die Frau Doktor zum Herrn Magister. „Und keine Faxen! Sie kommen ja nicht weit, wenn Sie irgendwas versuchen.“ Der Magister Fritzenwallner hielt den Kopf gesenkt. Gasperlmaier merkte, dass er versuchte, seine Hände so zu halten, dass die Handschellen von den Leuten am Gipfelkreuz nicht gesehen werden konnten. Ein rascher Blick sagte Gasperlmaier, dass diese nun doch auf sie aufmerksam geworden waren. Die Gruppe war sogar größer geworden, einige weitere Wanderer hatten sich hinzugesellt. Einer hielt ein Fernglas auf Gasperlmaier gerichtet, keiner jedoch wagte es, sich ihnen zu nähern. Eine hübsche Geschichte, dachte Gasperlmaier bei sich, würden die Leute heute Abend zu erzählen haben. Nicht jeden Tag konnte man neben dem Gipfelglück auch noch erleben, wie ein Verbrecher in Handschellen abgeführt wurde.
Gasperlmaier ging als Letzter. Wortlos stieg die Gruppe ab, der
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