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Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi

Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi

Titel: Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Dutzler
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trug, ohne einen BH darunter, wie Gasperlmaier mit Befriedigung feststellte. Sie hatte um diese Tageszeit wohl nicht mit Besuch gerechnet.
    Gasperlmaier dachte an seine Christine und was sie ihm über Würde und Entwürdigung der Frau und über das Starren auf Brüste ganz allgemein beigebracht hatte, bemühte sich um Reue und einen neutralen, desinteressierten Blick, während die Frau Doktor die junge Nagl-reiter bat, sich zu setzen.
    „Sie sind die Tochter des Herrn Doktor Naglreiter?“, fragte sie, mit einer Stimme, so sanft, dass selbst ein einigermaßen sensibler Haushund gemerkt hätte, was passiert war.
    Die Tochter sprang wieder auf. „Was ist mit ihm?“ Ein hysterischer Nebenton schwang in ihrer Stimme mit, ein Ton, wie Gasperlmaier ihn fürchtete, denn er wusste nicht mit Frauen umzugehen, die von ihren Gefühlen überwältigt zu werden drohten.
    Auch die Frau Doktor stand jetzt auf, legte einen Arm um die Schultern der Tochter, die deutlich größer war als sie, strich ihr beruhigend über den Oberarm, während das Fräulein Naglreiter das Gesicht in den Händen verbarg und zu schluchzen begann. Gasperlmaier war Zeuge einer unglaublichen Leistung an präzisester nonverbaler Kommunikation geworden: Die Tochter wusste, dass ihr Vater tot war, und die Frau Doktor wusste, dass sie keine Worte mehr darüber verlieren musste, weil die Tochter es ohnehin wusste. Für Gasperlmaier ein weiterer Beweis dafür, dass Frauen über kommunikative Fähigkeiten verfügten, die wesentlich weiter reichten, als Männer sich das vorzustellen vermochten, und die so mysteriös waren wie der Gesang der Buckelwale.
    Der Frau Doktor gelang es, die schluchzende Tochter wieder auf die Bank zu drücken, wo sie die Ellbogen auf den Tisch stützte und keine Anstalten machte, mit dem Schluchzen in ihre vors Gesicht gehaltenen Händen aufzuhören.
    „Papa ist tot, Judith“, versuchte sich Naglreiter junior in männlicher Kommunikationstechnik, was jetzt wieder Gasperlmaier an dessen Verstand zweifeln ließ, während er sich selbst zugute halten durfte, Frauen besser zu verstehen als ein Angehöriger einer jüngeren, bereits im Zeitalter der Emanzipation sozialisierten Generation – wenn er schon nicht verstand, was sie einander mitteilten.
    Dennoch heulte Judith laut auf, was Gasperlmaier wieder in Zweifel stürzte: Hatte sie vorhin doch nicht mitbekommen, dass ihr Vater verstorben war? Oder hatte die Tatsache, in hörbare und verständliche Worte gekleidet, eine neue, höhere Woge des Schmerzes ausgelöst? Gasperlmaier war ratlos.
    Recht plötzlich hörte Judith auf zu heulen, nahm die Hände vom Gesicht und wandte sich der Frau Doktor zu: „Erzählen Sie mir alles.“
    Danach, fiel Gasperlmaier auf, hatte Stefan nicht gefragt. Die wenigen Einzelheiten, die die Frau Doktor preisgegeben hatte, schienen ihm genügt zu haben. Frau Doktor Kohlross nickte, sparte aber mit Details. Aus ermittlungstechnischen Gründen, wie Gasperlmaier vermutete. So zumindest begründete die Polizei dürftige Informationen an die Öffentlichkeit, wenn im Fernsehen berichtet wurde.
    „Ihr Vater wurde heute Morgen in der Nähe des Bierzelts tot aufgefunden. Wahrscheinlich ist er einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen. Wir sind erst am Anfang der Ermittlungen, ich bin vom Fundort direkt hierhergekommen.“ Sorgsam vermied die Frau Doktor Wörter wie „Tod“, „erstechen“, „Leiche“ und dergleichen, wohl, um die angegriffene Psyche der geschockten Tochter nicht weiter zu belasten. „Wissen Sie vielleicht, wo Ihre Mutter ist?“, fügte sie hinzu.
    „Wie?“ Judith wandte ihr von vergossenen Tränen glänzendes Gesicht erneut ihrer Gesprächspartnerin zu. „Ist die nicht zu Hause?“ Fast gleichzeitig schüttelten Stefan, die Frau Doktor und Gasperlmaier ihre Köpfe. Gasperlmaier hatte sich fast verpflichtet gefühlt, wenigstens in körpersprachlicher Form endlich einen Beitrag zur Konversation zu leisten. „Das darf ja wohl nicht sein, dass sie jetzt schon bei diesem Affen übernachtet!“ Judiths Trauer war in Wut umgeschlagen, doch nur Sekunden später begann sie wiederum zu weinen, stützte ihr Gesicht in die Arme, diese auf den Tisch und schien unansprechbar. Gasperlmaier wurde es unwohl. Ob sie die beiden überhaupt allein lassen konnten? Den verkaterten Sohn und seine sichtlich gebrochene Schwester? Erstmals suchte die Frau Doktor Blickkontakt mit ihm, und das Heben ihrer Augenbrauen konnte nun zahlreiche verschiedene Bedeutungen

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