Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi
kippte der Hemdenstapel um und die gefalteten Hemden flatterten zu Boden. Ein fliederfarbenes blieb am Kopf der Frau Doktor Kohlross hängen, während Gasperlmaier das Band vollends vom Boden des Schrankfachs zog. Was zum Vorschein kam, war eine kleine blaue Speicherkarte, wie sie in Kameras und Handys verwendet wurde. Inzwischen hatte sich die Frau Doktor Kohlross von dem Hemd befreit und es achtlos zu Boden gleiten lassen. Gasperlmaier stand inmitten eines Bergs ehemals gefalteter und frisch gebügelter Herrenhem-den.
„Schau, schau!“ Die Frau Doktor war begeistert, zog ein kleines Plastiksäckchen aus ihrer Handtasche und hielt es Gasperlmaier hin. „Da hinein damit. Was der Herr Doktor Naglreiter darauf wohl gespeichert hat? Familienfotos?“ Sie wedelte Stefan mit dem Säckchen vor der Nase herum und gab sich die Antwort selbst: „Sicher nicht. Wer klebt seine Familienfotos unter seine Hemden in den Schrank? Sie reichte Gasperlmaier das Säckchen. „Passen Sie gut darauf auf. Wir sehen uns das dann am Posten an.“ Gasperlmaier verstaute das Säckchen folgsam in der rechten Außentasche seiner Uniformjacke und achtete darauf, dass die Klappe wieder sauber über der Taschenöffnung zu liegen kam.
Die Frau Dokor deutete auf das Notebook, das zugeklappt auf dem Schreibtisch vor dem Fenster stand, von dem aus man bis zum See hinunterblicken konnte. „Haben Sie etwas dagegen, wenn wir den Computer für unsere Ermittlungen mitnehmen?“
Stefan Naglreiter zuckte nur gelangweilt die Schultern.
„Gasperlmaier.“ Mit einer Geste machte ihm die Frau Doktor klar, dass er das Gerät an sich nehmen sollte. Er zog verschiedene Stecker aus den Anschlüssen und nahm das Notebook an sich. „Das Netzgerät auch, bitte.“ Gasperlmaier setzte seine Last wieder ab und sah ratlos auf die verschiedenen Kabelenden, die nun auf dem Schreibtisch herumlagen. Netzgerät? Welches Kabel das wohl sein mochte? Gasperlmaier benützte immer nur Computer, die schon angesteckt waren. Frau Doktor Kohlross war zum Nachtkästchen auf der Seite des Bettes gegangen, die dem Schrank mit Doktor Naglreiters Kleidern am nächsten lag, und öffnete die Schubladen der Reihe nach. Gasperlmaier dämmerte, dass das gesuchte Kabel jenes sein musste, das zum Stromanschluss des Computers führte. Er bückte sich unter den Tisch und konnte es nun, erleichtert, identifizieren. Er nahm beides – Gerät und Kabel – an sich und sah sich um. Die Frau Doktor war mit ihrer Runde fertig und zog sich gerade die Handschuhe von den Fingern.
„Dann werden wir diesem Herrn Gaisrucker schnellstens einen Besuch abstatten, stelle ich mir vor. Ich möchte Sie ersuchen, mit niemandem über den Inhalt unseres Gesprächs zu reden, niemanden per Handy zu informieren, schon gar nicht den Herrn Gaisrucker.“
Hintereinander gingen sie die Stiegen hinunter, wo sie Judith, nach wie vor ausdruckslos vor sich hin starrend, auf dem Sofa vorfanden.
„Allerdings“ – die Frau Doktor schien eine Idee zu haben – „können Sie noch versuchen, Ihre Mutter am Handy zu erreichen?“ Judith schien plötzlich zu erwachen und stieg in den ersten Stock hinauf. Zurück kam sie mit einem dieser weißen, modischen Handys, die ganz flach waren und nach denen sich Gasperlmaiers Kinder bislang vergeblich vor Sehnsucht verzehrten. Judith lauschte dem Freizeichen, schüttelte aber bald den Kopf. „Sie meldet sich nicht.“ Schon beim letzten Wort begannen die Tränen wieder zu fließen.
„Versuchen Sie es noch ein paarmal, wir melden uns wieder.“
Gasperlmaier fand, man könne die heulende Schönheit nicht so einfach allein unter der Obhut ihres desinteressierten Bruders zurücklassen. „Sollen wir Ihnen vielleicht jemanden von der Krisenintervention vom Roten Kreuz schicken? Damit Sie jemanden zum Reden haben?“
Frau Doktor Kohlross war erstaunt über die Fürsorge und die lange Rede Gasperlmaiers und zog, wiederum fragend, die Augenbrauen hoch. Judith aber schüttelte den Kopf: „Geht schon.“
„Bitte bleiben Sie zu Hause und halten Sie sich zu unserer Verfügung. Auf Wiedersehen.“ Die Frau Doktor schien es nun wirklich sehr eilig damit zu haben, den Marcel zu erwischen.
5
Kaum hatte sie die Haustür hinter sich ins Schloss gezogen, begann sie Gasperlmaier ins Vertrauen zu ziehen. „Wenn wir Glück haben, dann ist der Fall schon gelöst, bevor er noch richtig begonnen hat. Könnte doch sein, dass der Gaisrucker und der Doktor Naglreiter in Streit geraten sind, ein
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