Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi
zoomte sie das Gesicht der Kleineren näher heran. Sie hatte dunkles Haar, das zu einem Pferdeschwanz gebunden war. „Das ist doch!“, entfuhr es Gasperlmaier, doch bevor er seiner Vermutung Ausdruck verleihen konnte, dass das die Natalie, die Nichte des Kahlß Friedrich, war, hielt er sich gerade noch zurück. Ob es klug war, die Natalie da hineinzuziehen? Mit den Morden konnte sie ja wohl kaum etwas zu tun haben. „Was jetzt, Gasperlmaier?“, fuhr ihn die Frau Doktor an, dass er zusammenzuckte. „Kennen Sie die? Oder haben Sie einen Verdacht, wer es sein könnte?“ Gasperlmaier war klar, dass ein Zurückhalten seines Wissens nur unnötige Verzögerungen und am Ende neue Peinlichkeiten bedeuten konnte. „Die Natalie ist das, die Tochter von der Evi.“ Wie von der Tarantel gestochen sprang der Kahlß Friedrich auf, umrundete den Schreibtisch und drängte sich, so gut das bei seiner Leibesfülle eben ging, zwischen die Frau Doktor und Gasperlmaier. „Was hat der Sauhund mit der Natalie gemacht? Ich bring den um!“ „Herr Kahlß, Sie vergessen – er ist schon tot!“, konnte sich die Frau Doktor nicht verkneifen.
Immer mehr Fotos förderte die Frau Doktor zutage, und es wurde schnell klar, dass der Doktor Naglreiter versucht hatte, die Natalie möglichst oft und möglichst im Detail aufzunehmen. Dass es einen Fotoapparat gab, dachte Gasperlmaier bei sich, mit dem man aus solcher Entfernung und so scharf Großaufnahmen machen konnte! Gasperlmaier sah das Gesicht der Natalie bildschirmfüllend, mit einer großen, dunklen Sonnenbrille über den Augen. Der Doktor hatte akribisch genau ihren Hintern, ihren Busen, der, wie Gasperlmaier aufatmend feststellte, vom Bikini bedeckt blieb, ihren Bauch und ihre Beine abgelichtet. Der Kahlß Friedrich schnaubte vor Wut und murmelte Verwünschungen vor sich hin.
„Herr Kahlß, wenn Sie’s nicht vertragen, dann setzen Sie sich wieder hin!“ Die Frau Doktor schien ein wenig genervt vom heißen Atem und der enormen Präsenz des Kahlß’schen Körpers hinter ihrem Bürostuhl. Sie ließ die Fotos vom Bildschirm verschwinden und sah den Friedrich herausfordernd über ihre Schulter an. Zu Gasperlmaiers Überraschung gehorchte er brummend und setzte sich wieder auf den Stuhl, den er zuvor ausgefüllt hatte.
Um den Friedrich nicht noch mehr aufzuregen, verzichtete die Frau Doktor darauf, die weiteren Fotos zu kommentieren. Als allerdings überraschend der Stefan Naglreiter auf der Bildfläche erschien, konnte sich Gasperlmaier ein erstauntes Ächzen nicht verkneifen, worauf der Friedrich sofort wieder hinter ihnen stand. Die Frau Doktor ließ den Bildschirm schwarz werden. „Also so geht das nicht, meine Herren! Ich kann ja Ihre persönliche Betroffenheit verstehen, aber …“ Diesmal ließ sie einen Satz unvollendet.
Beide, Gasperlmeier und der Kahlß Friedrich, wurden auf die andere Seite des Schreitischs verbannt und mussten ebenso schweigend wie gebannt dabei zusehen, wie die Frau Doktor, ohne irgendeine Reaktion zu zeigen, durch die restlichen Fotos klickte. Dann klappte sie den Laptop zu.
„So, meine Herren. Was haben wir hier? Erotische Fotos aus dem Naglreiter’schen Schlafzimmer, aufgenommen vor ein paar Wochen. Nicht direkt relevant für unsere Ermittlungen. Dennoch beweisen sie eines: Der Doktor Naglreiter könnte durchaus so eifersüchtig gewesen sein, dass er über die außerehelichen Eskapaden seiner Gemahlin in Rage geraten ist, dass er sie erschlagen hat. Darüber hinaus – wie Sie vielleicht wissen – ist bei vielen Männern ein Besitzdenken ihren Frauen gegenüber derart ausgeprägt, dass sie sich selbst dann wie Steinzeitmenschen aufführen, wenn ihnen jemand die Frau wegschnappt, die sie ohnehin schon seit Jahren zum Teufel wünschen.“ Gasperlmaier wechselte einen kurzen Blick mit dem Friedrich, der jedoch völlig teilnahmslos schien. „Was genau in dem Boot vorgefallen ist, werden wir nie erfahren – beide Beteiligten sind tot. Ich denke, die Ermittlungen sollten sich auf den dritten Mord konzentrieren. Und da spielen mehrere Personen eine wesentliche Rolle – Stefan Naglreiter, der, wie wir auf den Fotos sehen, eine Beziehung, welcher Art auch immer, zur Natalie …“ Der Kahlß Friedrich fuhr auf, die Frau Doktor streckte ihm beschwichtigend ihre Hände entgegen. „Nein, nein, Kahlß, auf den Fotos sieht man nur, wie er sie umarmt und küsst und wie sie beim Schwimmen ein wenig miteinander herumblödeln. Alles ganz harmlos. Außer, dass
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