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Letzter Mann im Turm - Roman

Letzter Mann im Turm - Roman

Titel: Letzter Mann im Turm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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ist doch kein Zoo, geh langsam.»
    «Fang heute mit niemandem Streit an, Mr Pinto», sagte sie. «Lass uns ruhig bleiben und jedem Ärger aus dem Wege gehen.»
    Sie hielten sich aneinander fest und gingen durch den dunklen Eingang ins Sonnenlicht. Mrs Kudwa, die auf dem «besten Stuhl» im Parlament saß und mit Mrs Saldanha sprach, die sich aus ihrem Küchenfenster lehnte, verstummte, als sie vorbeigingen.
    Ram Khare war in seinem Häuschen und wachte über das Grundstück.
    Mr Pinto hustete. Rauch waberte über die Mauer; Mary hatte das Laub auf dem Grundstück zusammengefegt und draußen im Abflussgraben angezündet. Die in eine dunkle Wolke gebetteten Hibiskusblüten hatten ein intensiveres Rot angenommen.
    «Alles in Ordnung?»
    «Mir geht’s gut, Shelley. Ist bloß ein Husten.»
    In der Ferne hörte er Gesang; Kinder übten patriotische Lieder für den Unabhängigkeitstag.
    Saarey jahan se accha
Yeh Hindustan hamara
Hum bulbule hain iski
Yeh gulistan hamara
    Better than all the world
Is this India of ours;
We are its nightingales,
It is our garden.
    Nach ein paar Schritten drehte er sich zu seiner Frau um. «Warte.»
    Sie befanden sich auf der «Blutstrecke», und er hielt den Atem an. Er beugte sich über die Mauer und sah im Abflussgraben ein paar herrenlose schwarze Hunde, die hinter einem kleinen weißbraunen Welpen hinterherjagten. Er fiepte, als sei dies kein Spiel. Die vier Hunde hetzten ihn den gesamten Graben entlang. Dann waren sie alle verschwunden.
    «Was passiert da, Mr Pinto?»
    «Sie werden das kleine Ding umbringen, Shelley.» Er stockte. «Er sieht aus wie Sylvester.»
    Die Pintos hatten einmal ihrem Sohn Tony zuliebe einen Hund gehabt, Sylvester. Als Sylvester starb, hatte ihnen die Genossenschaft erlaubt, ihn im Garten zu begraben, sodass sie ihm bei ihren Spaziergängen über das Grundstück nahe sein konnten.
    Wieder ertönte aus dem Graben das Winseln.
    Der alte Buchhalter legte seiner Frau die Hand auf den Rücken. «Du gehst die Mauer entlang, Shelley, du kennst doch den Weg. Ich muss nachsehen, was sie mit dem Hündchen machen.»
    «Aber Masterji hat gesagt, wir sollen das Gebäude nicht verlassen, bis er mit dem Rechtsanwalt wiederkommt.»
    «Ich gehe jetzt da raus, Shelley. Wir müssen den kleinen Kerl retten.»
    Shelley wartete an der Mauer und hielt wegen des Fleischgestanks den Atem an. Das Quieken aus dem Graben wurde lauter und erstarb dann. Sie hörte Schritte von der anderen Seite der Mauer. Sie erkannte den Gang ihres Mannes. Sie hörte, wie er in den Graben stieg.
    «Geh nicht in den Abflussgraben rein, Mr Pinto. Hörst du mich?»
    Dann vernahm sie andere Schritte. Jüngere, schnellere Schritte.
    «Mr Pinto», rief sie. «Wer ist da draußen bei dir?»
    Sie wartete.
    «Mr Pinto, wo bist du? Und wer ist da in den Rinnstein gestiegen? Sag doch was.»
    Sie legte die Hand auf die Mauer, eine Delle in einem Backstein sagte ihr, dass sich das Wachhäuschen zu ihrer Linken befand, ungefähr vierunddreißig kleine Schritte entfernt.
    Sie ging in diese Richtung, die Hand auf der Mauer.
    Das Wachhäuschen war immer noch neunundzwanzig Schritte entfernt, als Shelley Pinto ihren Mann schreien hörte.
    Auf dem Weg in die Kanzlei des Rechtsanwalts blieb Masterji stehen und schnüffelte. In einem Imbissladen roch es nach Stärke und Fettgebackenem.
    Aus einem weißen
banian
ragten flinke dunkle Arme und raspelten Kartoffeln in ein Fass kochendes Öl. Ein anderes Paar Arme wartete mit einer Schöpfkelle; dann und wann tauchte die Kelle in das Fass und kam mit brutzelnden Waffeln wieder hoch. Große Kübel voller Snacks standen um die beiden Männer herum: Bratkartoffeln (rot und gewürzt oder gelb und ungewürzt), frittierte Kochbananen (in Scheiben oder in Streifen geschnitten oder gewürzummanteltoder in braunem Zucker gewendet) und frittiertes Grünzeug. Beim Konkurrenzstand nebenan zischten Kartoffeln in einem Konkurrenzfass mit brutzelndem Öl. Die beiden Lokale erzeugten jenen unaufhörlichen Wettstreit kochenden Öls, der ebenso zum Sprachengewirr in Bombays Straßen beiträgt wie Hindi, Marathi oder Bhojpuri.
    Als Nächstes kam der Konkurrenzkampf der Werbeschilder:
    EISENHALTIGE NICHTEISENHALTIGE METALLE
INHABER IQBAL ROZA
D’SOUZA MARKEN-HOCHZEITSKARTEN
MASSENVERKAUF
    Aus den alten Gebäuden sickerte frischer Saft; in den überwölbten Nischen der verfallenden Fassaden hatten es sich Verkäufer vor Orangen- und Zitronenpyramiden gemütlich gemacht, saßen da und füllten

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