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Letzter Mann im Turm - Roman

Letzter Mann im Turm - Roman

Titel: Letzter Mann im Turm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Zweitschlüssel?»
    Mr Pinto drehte sich um und zeigte zum Tisch.
    «Kommen Sie, frühstücken Sie mit uns. Es gibt das Drei-Eier-Omelett, das mögen Sie doch am liebsten. Nina, noch ein Omelett, sofort. Kommen Sie, Masterji, setzen Sie sich an den Tisch.»
    «Wussten Sie, was letzte Nacht eigentlich geschehen sollte?», fragte Masterji. «Hat der Verwalter allen gesagt, sie sollten sich still verhalten, wenn ich schreie? Daran hatte ich bis heute Morgen auch nicht gedacht. Niemand ist gekommen, um mir zu helfen.»
    Mr Pinto gestikulierte hilflos mit den Händen. «Also wir, wir haben nichts gehört, ehrlich. Wir haben geschlafen. Fragen Sie Shelley.»
    Mrs Pinto erhob sich vom Frühstückstisch, stellte sich neben ihren Mann und nahm seine Hand in ihre.
    «Wir wollten Sie retten, Masterji», sagte sie mit ihrer kratzigenStimme. «Sie haben uns gesagt, wenn wir uns stillhalten, würden wir Sie retten.»
    «Shelley, halt den Mund. Setz dich wieder an den Tisch. Wir haben ja nichts gewusst, Masterji. Wir danken Gott, dass Sie wohlbehalten sind. Kommen Sie rein und essen Sie mit uns –»
    «Sie lügen, Mr Pinto.»
    Masterji zog Mr Pinto die Wohnungstür aus der Hand und schloss sie. Er lehnte sich mit der Stirn an die Tür; Rajeev und Raghav Ajwani, die ihre Schuluniformen anhatten, versuchten, auf Zehenspitzen an ihm vorbeizuhuschen.
    Von unten hörte Masterji Stimmen und rannte die Treppe hinunter.
    Drei Frauen saßen auf den weißen Plastikstühlen.
    Mrs Puri sprach mit der Frau des Verwalters; Mrs Ganguly, gold- und silbergeschmückt, war offensichtlich gerade auf dem Weg zu einer Hochzeitsfeier und hörte ihr zu.
    «Die Ordensschwestern an der Sonderschule wollen, dass Ramu beim Festumzug David, den Goliathtöter, spielt, na und? Was heißt das schon, dass David Christ war und wir Hindus sind? Jesus und Krishna – zwei Hautfarben, derselbe Gott. Mein ganzes Leben bin ich fröhlich in Kirchen ein- und ausgegangen.»
    «Sie haben recht, Sangeeta», sagte die Frau des Verwalters. «Im Grunde genommen gibt es da kaum einen Unterschied.»
    Masterji ging von Mrs Puri zu Mrs Kothari zu Mrs Ganguly, auf der Suche nach einem Gesicht, das Schuld verriet, wenn er es fixierte. Keine schenkte ihm auch nur die geringste Aufmerksamkeit.
Sind das gute oder schlechte Menschen, die ich da vor mir habe?,
fragte er sich.
    Mrs Puri wedelte eine Stubenfliege von Mrs Kotharis Schulter und redete weiter.
    «Habe ich nicht in St. Anthony, in St. Andrews und dann in Mount Mary darum gebetet, dass sich die Ärzte bei Ramu geirrthaben? Genauso, wie ich auch im Siddhi-Vinayak-Tempel gebetet habe, Mrs Kothari.»
    «Sie sind ein toleranter Mensch, Sangeeta. Ein Mensch, dem die Zukunft gehört.»
    «Haben Sie alle gewusst, was letzte Nacht geschehen sollte?», fragte Masterji. «Bin ich denn der einzige Mensch in diesem Haus?»
    Mrs Puri fuhr fort, sich mit der Frau des Verwalters zu unterhalten.
    «Ich mache keinen Unterschied zwischen den Hindus, den Moslems und den Christen in diesem Land.»
    «Wie wahr, Sangeeta. Hauptsache, man hat ein gutes Herz, sage ich immer.»
    «Ich stimme mit euch 100 Prozent überein», schaltete sich Mrs Ganguly ein. «Ich wähle nie Shiv Sena.»
    Da erblickte Masterji Tinku, den Sohn des Verwalters. Der dicke Junge, der sich in einen der Plastikstühle gequetscht hatte, hatte sein Miniaturcarrombrett vor sich und spielte gegen sich selbst, indem er abwechselnd gegen schwarze und beigefarbene Spielsteine schnippte. Er hielt inne, wollte eben mit dem gekrümmten Finger gegen den blauen Schussstein schnippen und musterte Masterji aus den Augenwinkeln.
    Er kicherte. Sein weiches Fleisch wabbelte unter dem grünen T-Shirt mit der goldfarbenen Aufschrift
Come to Ladakh, land of monasteries.
Das Grinsen der tibetischen Mönche auf dem T-Shirt vertiefte sich.
    Der blaue Schussstein knallte gegen die Carromsteine. Ein schwarzer Stein sprang über den Brettrand und rollte durch das Parlament, bis er gegen Masterjis Fuß stieß; er schauderte.
    Er ging die Treppe hoch in sein Wohnzimmer und wartete auf seinen alten Freund. Wenn doch nur Shelley diesen alten dickköpfigen Buchhalter überreden könnte, an die Tür zu klopfen und ein Wort zu sagen: «Entschuldigung.»
    Nur ein Wort.
    Er wartete eine halbe Stunde. Dann stand er auf und griff nach dem Streitvermeidungsbuch, das noch immer von einem blauen Gummiband umwickelt auf dem
Weg der Seele nach dem Tode
im Bücherregal lag.
    Er zog das Gummiband ab. Eine nach der

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