Letzter Mann im Turm - Roman
Fleisch neben Brot, Reis und rotem Curry häuften.
«Sie sind mein Gast, Mrs Rego. Sie mögen vielleicht mein Angebot nicht, aber Sie müssen mit mir zusammen essen. Eine Damewie Sie, die in Bandra aufgewachsen ist, muss wissen, dass man seinen Gastgeber nicht vor den Kopf stößt. Wenn es Ihnen zu viel ist, können Sie es für Ihren Sohn mit nach Hause nehmen. Sie haben sogar zwei Söhne, oder? Entschuldigung, einen Sohn und eine Tochter. Nun, dann nehmen Sie’s eben für die beiden mit.»
Mrs Rego zog sich einen Stuhl heran und nahm Platz.
Ein Kellner räumte die Serviette von ihrem Teller. Mr Shah servierte ihr persönlich eine Portion Curryhummer und bot Mrs Rego ein
naan
an, das sie ablehnte.
Nachmittags aß sie nie Kohlenhydrate.
Sunil Rego kam schmutzig vom Kricketspiel nach Hause und traf seine Mutter auf dem Bett sitzend an, mit Sarah auf dem Schoß. Die Nachttischlampe brannte.
«Da ist Essen für dich im Kühlschrank, Sunil. Es ist in Alufolie eingewickelt.»
Mrs Rego sah ihre Tochter an. «Schmeckt doch sehr lecker, oder?»
Sarah nickte.
«Warum hast du Essen gekauft, Mutter?» Sunil setzte sich neben sie.
«Ich habe es nicht gekauft. Du weißt, dass wir kein Geld für Essen aus dem Restaurant haben.»
«Der Bauherr hat es schicken lassen. Mr Shah. Er hat uns ein Angebot gemacht», flüsterte Mrs Rego.
«Ja, Mummy. Ich weiß.»
«Nein, Sunil. Er hat uns ein gesondertes Angebot gemacht. Heute Nachmittag.»
Sunil hörte sich die ganze Geschichte an – wie Shah für sie Essen bestellt, sich ihre Lebensgeschichte angehört, Mitgefühl gezeigt und ihr dann eine Mappe und einen unbeschrifteten Umschlag hingeschoben hatte.
Keine
Bestechung, sondern die erste Rate des Geldes, das siebekommen würde, das war alles. Will ich nicht, hatte sie gesagt und gedacht, dass es sich um eine Falle handelte. Die Summe wird abgezogen, wird von der letzten Rate abgezogen. Nehmen Sie das Geld, Mrs Rego. Denken Sie an Ihre beiden Söhne. Entschuldigung, an Ihren Sohn und Ihre Tochter.
«Was hast du dann gemacht, Mummy?»
«Ich habe natürlich Nein gesagt. Er hat erwidert, dass wir darüber nachdenken und ihm dann Bescheid geben sollen.»
Sunil bedeckte seinen Mund mit der Hand. Sarah tat es ihrem Bruder gleich.
«Was machen wir jetzt? Sollen wir euren Vater auf den Philippinen anrufen und ihn fragen?»
«Nein, Mutter», sagte Sunil streng. «Wie kannst du auch nur daran denken? Nach allem, was er uns angetan hat?»
«Du hast recht. Du hast völlig recht.»
«Rufst du Daddy an?» Sarah schlenkerte mit den Beinen. «Daddy auf den Philippinen?»
Sunil legte seinen Finger an die Lippen und funkelte seine Schwester an.
«Lass uns einen Spaziergang machen, Mummy.»
Mrs Rego begriff. Vishrams Wände waren dünn.
Mutter und Kinder gingen, Hand in Hand, zur Hauptstraße, wo sie ihnen, mit etwas anderen Worten, alles noch mal erzählte, und bald waren sie in Dhobi Ghat, einem Teil Vakolas, wo die Wäsche im Freien gewaschen wird, in kleinen Betonbecken, in denen der Seifenschaum blubbert. Mutter und Kinder standen vor einem Becken und unterhielten sich. Hinter ihnen hob und senkte sich ein langer, weißer Unterrock, der auf eine Granitplatte geklatscht wurde, wie ein Segel im Sturm. Auf der anderen Straßenseite würfelte ein bhelpuri-Verkäufer eine gekochte Kartoffel, während seine Linsensuppe vor sich hin köchelte.
Mrs Rego drehte sich um; der Wäscher hatte mit seiner Arbeit innegehalten, um sie zu beobachten.
Mrs Rego und Sunil winkten eine Autorikscha herbei und sagten beinahe wie aus einem Mund: «Bandra.»
Die Trennungswand zwischen dem Westen und dem Osten Mumbais wird in Santa Cruz nur an drei Stellen unterbrochen – tatsächlich ist die Schwierigkeit, auf die andere Seite zu gelangen, die brutalste Art der Besteuerung, die den Bewohnern des ärmeren Osten aufgebürdet wird (denn gewöhnlich sind sie es, die hinübermüssen). Zwei dieser Durchgänge werden «U-Bahn» genannt, Tunnel, die unter den Eisenbahnschienen verlaufen, und beide, Milan und Khar, sind zu Stoßzeiten gleichermaßen verstopft. Die dritte Möglichkeit, die Schnellstraße, ist die menschenwürdigste, da dies aber die längste Strecke ist, ist sie mit der Autorikscha auch die teuerste.
Aus Gründen der Sparsamkeit bat Mrs Rego den Fahrer, die Khar-U-Bahn zu nehmen; kurz vor dem Bahnhof bog ihre Rikscha links ab und reihte sich in die Schlange der Fahrzeuge ein, die hofften, durch den Tunnel nach Westen zu gelangen.
Südmumbai
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