Letzter Mann im Turm - Roman
Neuerwerbung», sagte er. «Ich weiß, dass Sie gern Fische beobachten.»
Dharmen Shah saß schweigend an einem Tisch mit Blick auf die Eingangstür des Restaurants, das Meeresfrüchte nach Mangalore-Art anbot, seine bevorzugte Küche. Die Restaurantdecke war in Anlehnung an die Höhlen von Ajanta gewölbt; die Wand gegenüber dem Aquarium schmückte ein gipsernes Basrelief mit den großen Baudenkmälern der Stadt, Victoria Terminus, Rajabhai Tower, die Säulenfront der Asiatic-Society-Bibliothek.
Der Restaurantleiter wartete darauf, dass Mr Shah etwas sagte.
Ein Kellner brachte einen ganzen Hummer auf einer Platte und stellte eine Schüssel Butter daneben. Es kam noch mehr, Krabben, Fischcurry, ein Garnelen-Biryani. Ein Stapel
naan,
Brot, in Alufolie eingewickelt, wurde in einem Weidenkorb serviert.
Vielleicht kommt sie ja gar nicht,
dachte Shah, während er das Brot mit den Fingern zerteilte.
Immerhin hatte sie den Namen Gottes angeführt. «Bei unserem Herrn Jesus Christus, ich werde …»
Er fragte sich, in welche der vier cremigen Saucen er das Brot tunken sollte.
Denk daran, Dharmen, sagte er sich, eine Person, die Jesus anführt,ist, in Maklerbegriffen, kein Christ. Eine Person, die Jesus anführt, ist auf einen höheren Verkaufspreis aus.
Er summte einen Bollywood-Song und tunkte das Brot in die Minzsauce. Als Nächstes nahm er sich die gebutterte Krabbe vor. Mit einem langen, dünnen Löffel schaufelte er das gebackene Fleisch aus dem gesalzenen und gepfefferten Krabbenpanzer; als das leichter zugängliche Fleisch herausgekratzt und gegessen war, riss er die Glieder ab und kaute nacheinander auf ihnen herum, biss in die Schale und kaute, bis sie aufbrach, ehe er das warme weiße Fleisch heraussaugte. Die Kellner standen bereit, das Fleisch herauszukratzen und es auf einen kleinen Teller zu legen. Aber das wollte Dharmen Shah nicht. Er wollte spüren, dass er etwas aß, das noch vor einer Stunde geatmet hatte, er wollte einmal mehr das außerordentliche Glück spüren, zu denen zu gehören, die noch am Leben waren.
Panzer und Knorpel knackten zwischen seinen Backenzähnen und fielen auf den Porzellanteller.
Die Restauranttür ging auf, wie eine Gestalt aus einer Offenbarung trat Shanmugham aus dem blendenden Licht in den Raum.
Erneut ging die Restauranttür auf und im schmerzhaft weißen Licht sah Shah den Umriss einer Frau mittleren Alters.
Er wischte sich die Lippen ab und stand auf.
«Ah, Mrs Rego, Mrs Rego. Wie nett von Ihnen, dass Sie gekommen sind. Ich nehme an, der dichte Verkehr hat Sie aufgehalten?», fragte er und blickte Shanmugham an.
Der machte eine schnelle, verneinende Kopfbewegung.
Mrs Rego setzte sich nicht hin.
«Warum haben Sie mich hierherkommen lassen, Mr Shah? Worum geht es?»
Der Bauherr breitete die Arme über die Gerichte auf dem Tisch aus.
«Darum
geht es. Wir Gujaratis essen nicht gern allein. MöchtenSie eine frische Zitronenlimonade, Mrs Rego? – Und bitte, setzen Sie sich.»
«Ich habe keinen Hunger. Ich werde jetzt wieder gehen.»
«Niemand wird Sie aufhalten, Mrs Rego. Direkt vor der Tür stehen Autorikschas. In zehn Minuten sind Sie wieder in Vakola.»
Mrs Rego sah sich im Restaurant um; sie blickte zur gewölbten Decke hoch, auf das Basrelief und starrte auf den Fisch. «Aber warum
haben
Sie mich denn nun hierherkommen lassen?»
Shah redete scherzhaft mit den Speisen.
«Sie hat Angst, dass ich ihr etwas antue. Mit dem Hai da neben mir sehe ich wahrscheinlich aus wie ein Bösewicht aus einem James-Bond-Film. Shanmugham, bitte hol den Geschäftsführer.»
Der kam mit gefalteten Händen und beugte sich beflissen vor.
«Mr Shetty, das ist Mrs Rego. Sie haben mich mit ihr gesehen um … Wie viel Uhr ist es? 13.20 Uhr. Ich möchte, dass Sie das in Ihr Reservierungsbuch schreiben. Mrs Rego, Bewohnerin der Wohnung 1 B, Vishram Society, Turm A, Vakola, wurde in Gesellschaft von Mr Shah gesehen. Ich möchte, dass Sie das aufschreiben, Wort für Wort – haben Sie’s?»
«Ja, Sir.»
«Und bitte schicken Sie einen Kellner, damit wir bestellen können.»
«Also, wenn Ihnen etwas zustößt, werde ich ins Gefängnis kommen. Sie sind Sozialarbeiterin, Polizei und Presse werden keine Gnade zeigen. Ich habe mir die Freiheit genommen, ehe Sie gekommen sind, schon mal ein paar Meeresfrüchte und Krabben zu bestellen. Shanmugham, setz dich auch hin und iss.»
Mrs Rego rührte sich nicht. Sie stand da und starrte auf Mr Shahs Teller, auf dem sich Knorpel, Knochen und
Weitere Kostenlose Bücher